Stellungnahme zur Einrichtung einer Landeserstaufnahmestelle in Freiburg

Raus aus der ausgrenzenden und diskriminierenden Politik!Log_m_Text_f_web_whiterim

Pressemitteilung
Im Hinblick auf die Diskussion am 9. Dezember 2014 im Freiburger Gemeinderat zu einer möglichen Einrichtung einer Landeserstaufnahmestelle für Geflüchtete in Freiburg, nimmt Aktion Bleiberecht Freiburg wie folgt Stellung:

Stellungnahme von Aktion Bleiberecht Freiburg zu der geplanten Einrichtung einer Landeserstaufnahmestelle (LEA) für Geflüchtete in Freiburg

Die Lebensbedingungen für Geflüchtete in der Bundesrepublik Deutschland verbessern!
Weitere rechtliche Zugänge zur Gesellschaft schaffen!
Raus aus der ausgrenzenden und diskriminierenden Politik!
Für das Grundrecht auf Asyl!

Die zentralen Anlaufstellen sind politisches Ergebnis einer langjährigen baden-württembergischen „Abschreckungspolitik“. Auf Initiative der baden-württembergischen Landesregierung wurden ab dem 1. Juli 1992 in allen Bundesländern, zur Beschleunigung der Asylverfahren, zur Ausgrenzung und schnelleren Abschiebung, Erstaufnahmestellen eingerichtet. An der Funktion dieser Einrichtung (Zentralstelle, Steuerung, Kontrolle, Überwachung, erkennungsdienstliche Behandlung (ED), Erstanhörung, schnelle und verkürzte Verfahren, Abschiebungen, Verteilerstation etc.) hat sich bis heute nichts verändert. Die geplante Landeserstaufnahmestelle (LEA) ist nach wie vor Teil eines dreistufigen Unterbringungssystems: Erstaufnahmeeinrichtung, Sammelunterkunft, Wohnung. Mit der Kasernierung von Geflüchteten in Massenunterkünften können abgesenkte Leistungen, Sachleistungen und weitere rechtliche Einschränkungen am effektivsten durchgesetzt werden.

Das System der zentralen Anlaufstellen wird den Bedürfnissen der Geflüchteten in keiner Weise gerecht.
Für Geflüchtete in der LEA wird die Residenzpflicht nicht gelockert, ihr Aufenthalt ist auf den Bezirk der Ausländerbehörde (Stadtkreis) beschränkt.

  • Sie erhalten ausschließlich Sozialhilfe nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) in Form von Sachleistungen (z.B. Kantinenessen), also kein Geld.
  • Nach dem AsylbLG wird den Betroffenen nur eine minimalmedizinische Versorgung gewährt. So dient die verpflichtende Gesundheitsuntersuchung der Geflüchteten in der LEA nicht in erster Linie  dem gesundheitlichen Wohl der Menschen, sondern mehr dem Zweck, eine gegenseitige Ansteckung in den Massenunterkünften zu verhindern. Selbst die Neue Richtervereinigung hat die vorgeschriebene generelle Gesundheitsuntersuchung in dieser Pauschalität bei der Einführung in den 90er Jahren als „unverhältnismäßig“ bezeichnet.
  • Auch die erkennungsdienstliche Behandlung (Fingerabdrücke und Bilder) der Geflüchteten ist unverhältnismäßig. Die Richtervereinigung kritisierte, dass die ED-Behandlung „einen herabsetzenden Charakter“ hat „und ohne jeden Verdacht ausnahmslos jedem Asylantragsteller auferlegt wird.“ Die gespeicherten Fingerabdrücke dienen der lückenlosen Überwachung von Geflüchteten. Sie werden in einem Rechenzentrum in Luxemburg gespeichert, wo ein Abgleich stattfindet, ob bereits anderweitig ein Asylantrag in der EU vorliegt. So wird die LEA auch zur Abschiebestelle.
  • Ebenfalls kann die LEA für Antragsteller  aus „sicheren Herkunftsländern“ zur Abschiebestelle werden. Politisch relevante Stimmen, wie OB Kuhn aus Stuttgart oder der Städte- und Landkreistag gehen von einem maximalen dreimonatigen Verfahren aus.
  • Ein Antragsteller ist verpflichtet in der LEA bis zu 3 Monate zu bleiben, auch wenn er / sie eine andere Wohnmöglichkeit hätte. In der LEA werden Geflüchtete „öffentlich rechtlich“ streng nach gesetzlichen Vorgaben und Hausordnung untergebracht. Sie wohnen nicht. Mit wem und in welchem Zimmer sie leben müssen, bestimmt die Verwaltung. Eine Privat- und Intimsphäre ist kaum gegeben. Es gibt keine Mindeststandards für die Unterbringung von Geflüchteten. In Baden-Württemberg ist lediglich von einem „menschenwürdigen Umgang mit Flüchtlingen“ die Rede. Obwohl in Familienberichten (Bundesdrucksache 12/7560) ausdrücklich Verhältnisse, wie sie in Massenlagern existieren als krankmachende Faktoren bezeichnet werden (ungünstige Wohnbedingungen, beengte Wohnverhältnisse, hohe Wohnungsdichte etc.) müssen Geflüchtete auch in der Anschlussunterbringung oft jahrelang unter diesen Bedingungen leben.
  • Eingangskontrollen und privater Sicherheitsdienst ergänzen den diskriminierenden Charakter der Unterbringung. Mit polizeilichen Durchsuchungen in der LEA ist ebenfalls zu rechnen u.a. mit einem Verweis auf „Brandschutzbestimmungen“ wegen nicht erlaubten Wasserkocher oder Kochplatten oder weil bei den Behörden „Klärungsbedarf zur Identitätsfeststellung“ besteht.
  • Ohne Geld ist es für die Betroffenen nicht möglich eine qualifizierte Rechtsberatung in Anspruch zu nehmen. Wie soll unter diesen Umständen eine faire Anhörung vor dem Bundesamt (BAMF) in der LEA stattfinden?  Noch immer fordern Anwaltsvereine, die Rechtsberaterkonferenz der Wohlfahrtsverbände, der UNHCR, die Neue Richtervereinigung und andere renommierte Organisationen die Beschränkung des Rechtsschutzes (kurze Klage und Antragsfristen) der 90er Jahre zurückzunehmen. Dr. Mario Cebulla, Sprecher der Neuen Richtervereinigung sagt es mit aller Deutlichkeit: „Es gibt keine Begründung für die prozessualen Restriktionen gerade gegenüber den sprach- und rechtsunkundigen Flüchtlingen. Hier besteht dringender Handlungsbedarf.“ Gefordert wird ein effektiver Rechtsschutz wie er in Artikel 19 Absatz 4 GG festgelegt ist.

In den letzten 25 Jahren gab es grundlegende Kritik an der staatlichen Flüchtlingspolitik. Die zahlreichen Forderungen nach rechtlicher Gleichstellung von Geflüchteten sind noch immer aktuell. PRO ASYL und die Flüchtlingsräte der Länder fordern, dass „die Unterbringung in Wohnungen zum Ziel der Aufnahmepolitik wird. Die Lagerpflicht gehört in allen Bundesländern abgeschafft.“

Aktion Bleiberecht Freiburg lehnt jede staatliche Einrichtung ab, die soziale, ökonomische, kulturelle und politische Ausgrenzung Geflüchteter zum Ziel hat. Dazu zählen Sammelunterkünfte oder -anlaufstellen, in denen eine Wohnsitzauflage diktiert und abgesenkte Leistungen durchgesetzt werden, sodass kaum ein selbstbestimmtes Leben möglich ist. Geflüchtete werden unter staatliche Aufsicht gestellt mit dem Ziel sie besser kontrollieren und sanktionieren zu können. Wir lehnen Sammeleinrichtungen ab, da sie Orte der Perspektivlosigkeit und der Prekarität sind. Kein Mensch lebt freiwillig unter diesen Bedingungen.

Mit Blick auf die Stadt müssen wir feststellen, dass Freiburg mit der Einrichtung einer LEA von einer Anschlussunterbringung von Geflüchteten befreit ist. Bis zu 10 Mio. € sollen damit eingespart werden. Das ist der eigentliche Grund,weshalb sich die Stadt am 9. Dezember 2014 für eine LEA im Gemeinderat aussprechen wird. Wie sagte Oberbürgermeister Dieter Salomon gegenüber der Badischen Zeitung: „Wir wollen moderne Flüchtlingspolitik machen.“

Zur Zeit ist kein Paradigmenwechsel in der Asylpolitik erkennbar. Deutlich wurde dies erst jüngst, als am 19. September 2014, drei Balkanländer zu sicheren Herkunftsländern eingestuft wurden. Auch die geplanten Gesetzesänderungen, womit die Inhaftierung von Geflüchteten, die Abschiebungen erleichtert und der Familiennachzug erschwert werden sollen,  zeigen die politische Richtung an. Ebenfalls ist die Nichtumsetzung des BVG-Urteils von 2012 zum Asylbewerberleistungsgesetz ein weiteres Indiz für die Fortführung einer restriktiven Asylpolitik.

Aktion Bleiberecht Freiburg fordert:
Weitere dauerhafte Aufnahme von Geflüchteten in der Stadt Freiburg!
Kein Rückzug aus der kommunalen Verantwortung durch die Einrichtung einer LEA in Freiburg!
Abschaffung der Lagerpflicht für Erstaufnahme und für Gemeinschaftsunterkünfte!
Ausgestaltung des Grundrechts auf Asyl, ohne repressiven Charakter!
Abschaffung des Arbeitsverbotes und der Arbeitsmarktprüfung!
Beseitigung der Wohnsitzauflage und der Residenzpflicht!
Kontingente für Flüchtlinge bei gemeinnützigen und kommunalen Vermietern schaffen!

Aktion Bleiberecht Freiburg
Adlerstr. 12
79098 Freiburg
info@aktionbleiberecht.de
www.aktionbleiberecht.de
Stichworte der Ausgrenzung
In den letzten 30 Jahren wurde gegenüber Geflüchteten u.a. folgende Rechte eingeschränkt bzw. beseitigt sowie repressive Einrichtungen geschaffen: Abgeschafft wurde die Widerspruchsinstanz und die Berufung vor Gericht / die Prozesskostenhilfe, der Anerkennungs- und Widerspruchsausschusses wurde durch einen Einzelentscheider ersetzt / beschlossen wurde die Einführung eines Arbeitsverbotes zeitweise auf 5 Jahre / Nachrangigkeit zum Arbeitsmarkt wurde eingeführt / Einführung der Visumpflicht für zahlreiche Länder / abgesenkte Sozialhilfe / 1983 erklärt das Bundesverfassungsgericht Sammellager für „verfassungsrechtlich unbedenklich“ / Sachleistungsversorgung / Lagerunterbringung mit Wohnsitzauflage / Residenzpflicht / polizeiliche erkennungsdienstliche Behandlung / Änderung des Bauplanrechts, damit in den Kommunen  Sammellager eingerichtet werden können / (Asylbewerber wohnen nicht, sie hausen. Angesichts der „räumlichen Enge“, in der Flüchtlinge leben müssen, sei wohnen „wohl schon objektiv nicht möglich“- Verwaltungsgerichtshof Mannheim 1989) / seit dem 1. Oktober 1989 können Erst- und Folgeanträge nur noch in der ZAST KA gestellt werden (119 kommunale Ausländerbehörden verlieren ihre Zuständigkeit) / nach dem 12. November 91 waren nicht nur das VG KA und Stuttgart für Asylverfahren zuständig / sondern auch andere / 1991 werden weiter 18 Groß-Sammellager in BaWü eingerichtet / Anfang 1992 stellt das Diakonische Werk seine Sozialbetreuung in der ZAST in KA u.a. mit der Begründung „… dass eine Sozialbetreuung.. eine Rechtsberatung, Hilfe bei Behördengängen, Sprachkurse, Organisierung von sportlichen und musischen Aktivitäten nicht mehr möglich“ ist. / 1993 folgt die GG-Änderung und damit die Einführung der Drittstaatenreglung / Definition sicherer Herkunftsländer / die Definition des „offensichtlichen unbegründeten Asylantrags“ wird im GG aufgenommen / Ausgrenzung aus der Bundessozialhilfe durch das AsylbLG (eingeschränkte medizinische Versorgung, Absenkung der Leistungen, weitere Absenkungen als Strafmaßnahme möglich, Arbeitszwang etc.) / Leistungsbeschränkungen nach dem AsylbLG 1993 für 12 Monate, 1997 Verlängerung auf 36 Monate, 2007 auf 48 Monate / Effektivierung von Abschiebungen durch Schaffung einer zentralen zuständigen Stelle im Land / Einrichtung spezieller Abschiebehaftanstalten / Schaffung sogenannter Bezirksstellen auf Regierungsbezirksebene in denen Schnellverfahren stattfinden sollen / Schaffung sogenannter „Ausreisezentren“ / am 1. April 1998 trat das Flüchtlingsaufnahmegesetz in BaWü in Kraft und definierte die 4,5 m² Wohnraum/ Person, es gab zum damaligen Zeitpunkt 59 Sammellager in BaWü / es folgten die Einrichtung von Anschlussunterbringungen in Lager auf Landkreisebene / das Dublin II-Abkommen / Rückübernahmeabkommen mit zahlreichen Ländern / am 18. September 2006 fand erstmals eine deutsche Sammelabschiebung per Flugzeug statt, die aus EU-Mitteln finanziert wurde / am 19. Dezember 2013 tritt in BaWü das Flüchtlingsaufnahmegesetz in Kraft / an der Unterbringung in Sammelunterkünften wird festgehalten / Vermehrte Schaffung von Containerlager / das AsylbLG wird nicht abgeschafft / das BVG-Urteil zum AsylbLG soll durch die notwendige Gesetzesänderung unterlaufen werden /  verschiedene Balkanländer wurden zu sicheren Herkunftsländer erklärt / mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung soll die Inhaftierung von Geflüchteten erleichtert werden etc….