„Bei vergangenen Wahlen klagten alle über schlechte Beteiligung. Doch es gibt auch Menschen wie Kiymet Demirhan (71) und Joe Nykiel (50): Sie wollen wählen, dürfen aber nicht. Ihnen fehlt der „richtige“ Pass. Kiymet Demirhan kam vor 40 Jahren aus der Türkei, Joe Nykiel vor 27 Jahren aus den USA. Beide fordern auf Plakaten vom „Wahlkreis 100 Prozent“ das Kommunalwahlrecht für Nicht-EU-Bürger. Die Initiative bietet eine symbolische Wahl. Was bedeutet es für Kiymet Demirhan und Joe Nykiel, keine echte Wahl zu haben? Anja Bochtler sprach mit ihnen.“
„BZ: Wann haben Sie es am meisten bedauert, nicht wählen zu können?
Nykiel: Zweimal besonders – beim Bürgerentscheid zum Konzerthaus, als alle in meinem Umfeld darüber gesprochen haben und ich nicht mitbestimmen konnte. Und bei der letzten Oberbürgermeister-wahl. Damals konnte eine Freundin von mir mit griechischer Staatsbürgerschaft wählen, obwohl sie erst vor eineinhalb Jahren nach Freiburg gezogen war – und ich, nach 20 Jahren, konnte das nicht.
Demirhan: Ich wollte immer wählen und habe früher in der Türkei immer gewählt. Es ist seltsam, wenn meine fünf Kinder mit ihrer deutschen Staatsbürgerschaft wählen gehen können und ich nicht. Auch beim Bürgerentscheid gegen den Verkauf der städtischen Wohnungen konnte ich nicht mitentscheiden, dabei lebe ich in einer Stadtbau-Wohnung.
BZ: Manche sagen ja, Migranten interessieren sich ohnehin nicht für die deutsche Politik…
Demirhan: Woher wissen die das? Bei den Türkinnen und Türken, die ich kenne, stimmt das nicht.
Nykiel: Viele stellen sich die Frage gar nicht, ob sie sich für Politik interessieren sollen – sie wissen ja von vornherein, dass sie kein Wahlrecht haben.
BZ: Was glauben Sie – wird es irgendwann eine Wahl für alle geben?
Demirhan: Wir können nicht wissen, ob das klappt. Aber ich weiß, dass ich wählen gehen werde, sobald ich kann.
Nykiel: Ich glaube, dass das kommunale Wahlrecht für alle kommt. Das gab es sogar schon mal, in Schleswig-Holstein und Hamburg, doch es wurde damals von der CDU angefochten und abgeschafft. Mittlerweile haben sich die rechtlichen Grundlagen aber durch das EU-Recht geändert, darum hat sich die Lage für uns deutlich gebessert. Das Problem ist, dass Ausländer keine Lobby haben, darum passiert so wenig. Umso wichtiger ist eine Aktion wie der „Wahlkreis 100 Prozent“.
Der „Wahlkreis 100 Prozent“ bietet am Sonntag, 7. Juni, parallel zur Kommunalwahl an 15 Orten und in fünf „Wahl-Mobilen“ eine symbolische Wahl für alle ohne deutschen Pass an. Die Ergebnisse werden ab 19 Uhr in der Wahl-Zentrale bei „Südwind“, Faulerstraße 8, präsentiert. Weitere Infos, auch für alle, die Wahlhelfer werden wollen (Mitstreiter werden gesucht) unter http://www.wahlkreis100.de oder 0176/51518946 .“
Quelle:<http://www.badische-zeitung.de/freiburg/das-problem-ist-dass-auslaender-keine-lobby-haben>