Oster-Appell 2010
Es ist nun schon fast 10 Jahre her, dass der Deutsche Bundestag am 30. Juni 2000 zu mitternächtlicher Stunde einen sehr denkwürdigen Beschluss gefasst hat. Der Beschluss wurde von den Bundestagsabgeordneten mit großer Mehrheit beschlossen und hatte die Überschrift „Humanitäre Grundsätze in der Flüchtlingspolitik beachten“.
Damals ging es vor allem um die Flüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina. Aber bereits damals wurde in dem Antrag auf das besonders schwere Schicksal der Roma hingewiesen, die fast überall erheblicher Diskriminierung ausgesetzt sind. Leider hat sich an dieser Situation bis heute nicht viel geändert. Sie sind fast überall vom gesellschaftlichen Leben ausgegrenzt und leben am Rande der Gesellschaft. Wir appellieren daher an alle politisch Verantwortlichen, sich weiterhin an die humanitären Grundsätze, zu denen wir uns am 30.06.2000 bekannt haben, gebunden zu fühlen.
Wer diese Rückführungsgebiete der Roma kennt, das allgegenwärtige Elend, die aus der Diskriminierung resultierende Chancenlosigkeit, der wird verstehen, dass manche dieser Flüchtlinge alles, aber auch wirklich alles versuchen, um diesem Schicksal zu entgehen. In unserem seinerzeitigen Beschluss haben wir mit Nachdruck von allen staatlichen und parlamentarischen Vertretern auf allen Ebenen (Abgeordnete, Innenminister, Ministerpräsidenten, Bundesregierung) um einen sensibleren Umgang mit Flüchtlingen gebeten, die nicht in Sicherheit und Würde zurückkehren können.
Deutschlands historische Verantwortung gegenüber den Roma kann sich nicht allein in historischen Gedenkveranstaltungen erschöpfen. Deutschland hat sich zur historischen Verantwortung für den Holocaust an den Juden bekannt und praktische Maßnahmen wie ausländerrechtliche Sonderregelungen in diesem Zusammenhang ergriffen; siehe zum Beispiel die gesetzliche Regelung für jüdische Kontingentflüchtlinge. Gegenüber den Roma scheint die historische Verantwortung in der Praxis keinerlei Niederschlag zu finden. Wie anders lässt es sich erklären, dass routinemäßig Roma und darunter auch Alte, Kranke, Kinder und Jugendliche jetzt in den Kosovo abgeschoben werden, ohne dass politisch Verantwortliche gegenüber solchen Maßnahmen Einhalt gebieten und unserer Verantwortung gegenüber den Roma gerecht werden.
Die nach Deutschland geflüchteten Roma, haben sich in vielen Fällen eine Existenz aufgebaut. Die Kinder, die in Deutschland geboren oder aufgewachsen sind, sind längst integriert und sehen Deutschland als ihre Heimat an. Einige konnten von den Bleiberechtsregelungen profitieren, andere aufgrund zu restriktiver Ausschlusskriterien jedoch nicht. Für diese jungen Menschen sind diese Abschiebungen eine erste entsetzliche Vertreibung – für die älteren Generationen allerdings ein Schicksal, das sie nun zum Teil bereits mehrmals im Laufe ihres Lebens erdulden mussten.
Viele der heute hier Unterzeichnenden haben bereits im Jahre 2000 einen entsprechenden Appell an die Ministerpräsidenten der Länder gerichtet. Wenn man die damals aufgeführten Grundsätze tatsächlich beachtet hätte, würden wir heute nicht erneut vor dieser Misere stehen, dass Roma sehenden Auges ins Elend abgeschoben werden. Wir wissen, dass auch die Mitarbeiter vieler Ausländerbehörden Zweifel plagen, ob sie verantworten können, was ihnen der Vollzug des Gesetzes zumutet: die Abschiebung.
Die Herkunftsländer, die sich mit der Rücknahme ihrer geflüchteten Landsleute einverstanden erklärt haben, haben keinen Handlungsspielraum, denn sie sind auf die Unterstützung Deutschlands und der EU angewiesen. Dennoch haben nicht nur Menschenrechtsorganisationen wie UNHCR oder Amnesty International, sondern auch die kosovarische Regierung auf die prekäre Situation hingewiesen, dass eine Rückkehr in Würde – das ist der international menschenrechtliche Maßstab – nicht möglich ist.
Trotz des Bundestagsbeschlusses vom 30.06.2000 und internationaler Warnsignale haben die zuständigen Stellen von dieser Rückführungspolitik zeitweise, nicht aber grundsätzlich Abstand genommen. Es ist hohe Zeit, dass aufgrund dieser Erfahrungen entsprechende Veränderungen und Anpassungen der Ausländergesetze vorgenommen werden, da diese zu früheren Zeiten ganz andere Ziele beinhalteten als heute. Die unreflektierte Anwendung dieser durch die veränderten Umstände überholten Gesetze führt zu unerträglichen Zwängen für alle Betroffenen.
Wir fordern daher mit aller Entschiedenheit, die Konsequenz zu ziehen und zeitgemäße und besser durchdachte Entscheidungen zu treffen, und diesen Flüchtlingsfamilien endlich einen rechtmäßigen Aufenthalt aus humanitären Gründen zu erteilen und sie so vor einer Abschiebung zu schützen und von ihrer existentiellen Angst zu befreien.
Erstunterzeichner:
• Prof. Dr. Christian Schwarz-Schilling, Büdingen
Bundesminister a. D.
Hoher Repräsentant für Bosnien-Herzegowina a. D.
• Claudia Roth, MdB, Berlin
Bundesvorsitzende Bündnis 90 – Die Grünen
• Rainer Eppelmann, Bürgerrechtler, Minister a. D., Berlin
Vorstandsvorsitzender der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur
• Präsident Ernst-Dieter Kottnick
Diakonisches Werk der EKD e.V.
• Barbara Lochbihler, MdEP, Brüssel
• Dr. Hermann Otto Solms, Vizepräsident des Deutschen Bundestages
Vorsitzender des Arbeitskreises Wirtschaft und Finanzen der FDP-Bundestagsfraktion
Mit unterzeichnende Organisationen:
• Volker Maria Hügel
für den Flüchtlingsrat Nordrhein-Westfalen e.V.
• Frauke Sonnenberg
für den Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt e.V.
• Norbert Grehl-Schmitt, Vorsitzender
• für den Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V.
• Claudia Jacob, Ehrenamtliches Mitglied, Flüchtlingsrat Bremen e.V. und Roma-Unterstützerin, sowie Britta Ratsch-Menke, ebenfalls für den Flüchtlingsrat Bremen
• Tilman Zülch
für die Gesellschaft für bedrohte Völker, Göttingen
• Pro Asyl, Frankfurt
• Timmo Scherenberg
für den „Hessischen Flüchtlingsrat“, Frankfurt
• Bettina Maurer
für den Flüchtlingsrat Berlin
• Julia Hartwig
für den Flüchtlingsrat Brandenburg
• Angelika von Loeper
für den Flüchtlingsrat Baden-Württemberg
• Flüchtlingsrat Mecklenburg-Vorpommern
• Prof. Dr. Fanny-Michaela Reisin (Präsidentin)
für Internationale Liga für Menschenrechte (ILMR), Berlin
• Traudl Vorbrodt – pax christi im Erzbistum Berlin/Härtefallberatung
• Behrouz Asadi
für den Arbeitskreis Asyl in Rheinlandpfalz
• Jochen Schwarz, Integrationsprojekte für Flüchtlinge und Migrant/innen, OASE Berlin
• Cornelia Rundt, Vorstand Paritätischer Wohlfahrtsverband Niedersachsen e.V. und Stellv. Mitglied der Niedersächsischen Härtefallkommission
• Eckhard Lang, Diakonisches Werk,
Arbeitsmarktintegration für Flüchtlinge
• Dr. Brigitte Derendorf Aktion 302, Münster
• Eberhard Vater, Vorsitzender und Pfarrer i.R.
Christina Vater, Projektreferentin für Miteinander e.V.
Netzwerk für Demokratie und Toleranz im Unstrut – Hainich – Kreis, Mühlhausen
• Ingrid Just
für den Mülheimer Flüchtlingsrat e. V.
• Hermann Hardt
für den Flüchtlingsrat Hamburg e.V.
• Bianca Schmolze für die Medizinische Flüchtlingshilfe Bochum e.V.
• Hanns Thomä, Beauftragter für Migration und Integration der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO)
• Christa Klassen für
Humanitäre Flüchtlingshilfe e.V., Hannover
• Herr Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrates Deutscher Sinti und Roma e.V.
• Christine Hoffmann, Generalsekretärin pax christi Deutsche Sektion
Derzeit aktive Bundestagsabgeorndete:
• Marie-Luise Beck
• Angelika Graf
• Jürgen Klimke
• Matthias W. Birkwald
• Josef Winkler
• Jan Korte
• Kornelia Möller
• Ulla Jelpke
• Inge Höger
• Halina Wawzyniak
• Andrej Hunko
• Raju Sharma
• Sahra Wagenknecht
• Niema Movassat
• Winfried Hermann
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Weitere Mitunterzeichner:
• Bärbel Bohley, Berlin
• Hans-Christian Schmid, Berlin
• Barbara Gladysch, „Mütter für den Frieden“, Düsseldorf
• Oda Jentsch, Rechtsanwältin, Berlin
• Bosiljka Schedlich, Südost Europa Kultur, Berlin
• Hans Koschnick, Bremen
Mitunterzeichner – Ehemalige Bundestagsabgeordnete, die auch den Appell im Jahr 2000 unterstützt hatten:
• Ernst von Weizsäcker
• Monika Brudlewsky
• Andrea Fischer
• Klaus Haupt
• Michaela Hustedt
• Gila Altmann
• Heide Mattischek
• Oswald Metzger
• Walter Hirche
• Klaus Wiesehügel
• Konstanze Wegner
• Detlev von Larcher
• Rudolf Bindig
• Wieland Sorge
• Marga Elser
• Christa Nickels
• Bärbel Sothmann
• Hildebrecht Braun
• Christa Lörcher
Die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) bzw. Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten enthält einen Katalog von Grundrechten und Menschenrechten (Konvention Nr. 005 des Europarats). Über ihre Umsetzung wacht der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg.
Die Konvention wurde im Rahmen des Europarats ausgearbeitet, am 4. November 1950 in Rom unterzeichnet und trat am 3. September 1953 allgemein in Kraft. Völkerrechtlich verbindlich ist allein ihre englische und französische Sprachfassung, nicht hingegen die zwischen Deutschland, Österreich, Liechtenstein und der Schweiz vereinbarte gemeinsame deutschsprachige Fassung.
Als so genannte geschlossene Konvention kann sie nur von Mitgliedern des Europarats unterzeichnet werden. Die Bereitschaft zur Unterzeichnung und Ratifikation der EMRK hat sich im Laufe der Zeit zu einer festen Beitrittsbedingung für Staaten entwickelt, die dem Europarat angehören möchten. Daher haben alle Mitgliedstaaten des Europarats die Konvention unterzeichnet und auch in innerstaatliches Recht transformiert.