Flüchtlingsrat Hamburg
Offenes Plenum für antirassistische Arbeit
Presseerklärung zum Tag des Flüchtlings
Lager Horst: Ausgrenzung mit System
Hamburg, den 01.10.2010
Heute wird unter dem Motto „Mit Diskriminierung macht man keinen Staat“ bundesweit der Tag des Flüchtlings begangen. PRO ASYL und die Flüchtlingsräte der Bundesländer weisen an diesem Tag auf die unhaltbaren sozialen Lebensbedingungen von Flüchtlingen in Deutschland hin.
PRO ASYL und Flüchtlingsräte fordern die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG). Während die Wellen in der „Hartz-IV“-Debatte hochschlagen, bleibt die Menschenwürde von Flüchtlingen in der öffentlichen Diskussion ausgeblendet. Dabei leben 80.000 Menschen in AsylbLG-Bezug derzeit von weniger als zwei Drittel der neuen Hartz-IV-Sätze, die überwiegend nur als Sachleistungen gewährt werden (Näheres dazu siehe Pro Asyl-PE im Anhang).
Auch in unserer Region hat dieses Gesetz katastrophale Auswirkungen, z.B. im Flüchtlingslager Nostorf/Horst, das für Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern (MV) als Erstaufnahmeeinrichtung und darüber hinaus von MV als Landesgemeinschaftsunterkunft (LGU) genutzt wird. Hier haben Mitte September Flüchtlinge mit einem Hungerstreik ihren Protest gegen ihre Lebensbedingungen zum Ausdruck gebracht und Forderungen aufgestellt. Darüber wurden ihnen Gespräche zugesagt.
Bei einer Begehung des Lagers am 22.9.10 gab es kein Gespräch der anwesenden PolitikerInnen und BehördenmitarbeiterInnen über die Forderungen der Flüchtlinge und nur vage Zusagen hinsichtlich der Kantinenöffnungszeiten und einer geringfügigen Ausweitung der ärztlichen Versorgung.
Hier noch einmal einige Schlaglichter zu den unhaltbaren Zuständen im Lager Nostorf/Horst:
– Völlige Isolation: Flüchtlinge, die Mecklenburg-Vorpommern zugeteilt sind, müssen oftmals ein Jahr und länger in der LGU Nostorf/Horst bleiben. Kontakt nach außen wird systematisch verhindert, da die Unterkunft auf dem Lande, ca. 8 km von Boizenburg entfernt, liegt. Es fährt zwar ein Bus nach Boizenburg, den können die dort untergebrachten Flüchtlinge aber kaum nutzen, da sie nur ein Taschengeld von 40 Euro im Monat erhalten und so den Bus nicht bezahlen können. Zudem fährt der Bus am Wochenende gar nicht.
– Besuchsverbote: Sie werden völlig willkürlich verhängt gegen FreundInnen und UnterstützerInnen der Flüchtlinge, denen mit fadenscheinigen Begründungen bzw. seit dem Hungerstreik unbegründet der Zutritt verweigert wird.
– Völlig unzureichende rechtliche Beratung: Die in Horst lebenden Flüchtlinge sind in ihrem Asylverfahren völlig allein gelassen. Der Flüchtlingsrat MV bietet im Rahmen seiner Möglichkeiten ein bis zwei Mal die Woche Asylverfahrensberatung an. Diese reicht keineswegs für über 300 Menschen. Weder die Fahrten zu RechtsanwältInnen und Beratungsstellen noch die Beratung durch RechtsanwältInnen können die dort untergebrachten Menschen wegen des geringen Taschengeldes bezahlen. Die Chance auf ein faires Asylverfahren bleibt ihnen systematisch vorenthalten.
– Völlig unzureichende medizinische Versorgung: Die Menschen erhalten in der Regel bei Beschwerden nur Schmerzmittel (Paracetamol). Die Überweisung zu Fachärzten wird oftmals verweigert und erfolgt, wenn überhaupt, nur bei hartnäckigem Insistieren. Die Flüchtlinge beklagen den Mangel an Übersetzerinnen und Übersetzern, der es ihnen nicht ermöglicht, ihre Beschwerden detailliert vorzutragen. Die Erkennung von Traumatisierungen, die im Asylverfahren eine erhebliche Rolle spielen kann, ist aufgrund der mangelnden Qualifizierung des Personals des medizinischen Dienstes praktisch ausgeschlossen.
– Die Flüchtlinge äußern massive Kritik am Essen. Es werde keine Rücksicht auf ihre Essgewohnheiten genommen, die Kost sei einseitig und wenig schmackhaft. Die Menschen erklären immer wieder, dass sie selbst kochen wollen, was ihnen verwehrt wird. In Bezug auf die seit Wochen andauernde Situation bei der Essensvergabe berichten sie, dass sie sehr lange warten müssen, um eingelassen zu werden, da die Kantine viel zu klein ist und in Etappen gegessen werden muss.
– Schulbesuch ist in Horst nicht möglich. Trotzdem werden aus Hamburg entgegen dem Koalitionsvertrag Familien mit Kindern nach Horst verteilt und dem Land MV zugeteilte Familien bleiben längere Zeit als vereinbart in Horst. Damit wird systematisch gegen die in beiden Bundesländern geltende Schulpflicht verstoßen.
– Flüchtlinge sind in der Umgebung von Horst durch rassistische Angriffe bedroht. Bekannt wurde z.B. der brutale Übergriff auf einen Kurden am 25.11.2007 am Bahnhof Boizenburg. Und in der Nacht des 18.9.10 wurde ein afrikanischer Flüchtling 2 km von Horst entfernt von zwei Rassisten mit einer Bierflasche auf den Kopf niederschlagen und bewusstlos im Wald liegen gelassen.
All diese Beispiele machen deutlich: Das Leben in Lagern wie Nostorf/Horst ist kein menschenwürdiges Leben, sondern zeugt von bewusster Ausgrenzung und Diskriminierung.
Deshalb unterstützen wir die Forderungen der Flüchtlinge in ihrem Hungerstreik (siehe Anlage) und als deren Konsequenz fordern wir als Sofortmaßnahme:
-Schließung der Landesgemeinschaftsunterkunft Nostorf/Horst! Alle auf Mecklenburg-Vorpommern verteilten Menschen müssen spätestens nach dreimonatiger Aufenthaltsdauer in der ZEA Nostorf/Horst Wohnungen erhalten, in denen sie nicht isoliert sind und wo sie Kontakte zur Bevölkerung aufnehmen können.
– Sofortiger Stop der Unterbringung von Hamburg zugeteilten Flüchtlingen in Nostorf/Horst!
– Sofortige Aufhebung der Besuchsverbote!
Darüber hinaus fordern wir für alle Menschen:
– Wohnungen statt Lager!
– Bewegungsfreiheit und freie Wahl des Wohnortes!
– Bleiberecht und gleiche Rechte für alle!
Flüchtlingsrat Hamburg
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