Offener Brief (16. September 2010)
an das Regierungspräsidium Freiburg und an die Stadt Freiburg
Sehr geehrter Herr Regierungspräsident,
Sehr geehrte Damen/Herren,
Die Romafamilie Krasnici, der Vater und seine Ehefrau, sowie 2 Kinder, eines schulpflichtig, wurden in der Nacht zum 9. September 2010 aus dem Flüchtlingsheim in der Hammerschmiedstraße in Freiburg-Littenweiler nach Ungarn abgeschoben.
Ich bin Körpertherapeutin für Einzel- und Gruppenarbeit mit Erfahrung in der Traumaarbeit, habe in Bosnien-Herzegowina und im Kosovo für Medica mondiale gearbeitet, eine NGO (Non Government Organisation), die in Bosnien und im Kosovo Projekte für vergewaltigte und traumatisierte Frauen und Mädchen aufgebaut hat. Die Gründerin Dr. Monika Hauser hat vor einiger Zeit den alternativen Nobelpreis bekommen. In Bosnien habe ich während und nach dem Krieg Weiterbildungen für Therapeutinnen gemacht, im Kosovo das Projekt mit aufgebaut und die psychosoziale Abteilung aufgebaut und geleitet. Von daher kenne ich den Hintergrund von Romafamilien, von denen ich auch einige betreut habe. Hier in Freiburg arbeite ich ehrenamtlich an einem Projekt der Pädagogischen Hochschule für Migranten und Migrantenkinder mit. In diesem Zusammenhang habe ich Kontakt zur Familie Krasnici bekommen, weil man mir sagte, Frau Krasnici sei traumatisiert.
Am 2. August 2010 habe ich Frau Krasnici im Beisein der Sozialarbeiterinnen der Stadt Freiburg, die Familien in der Hammerschmiedstraße betreuen, sowie einer Übersetzerin kennengelernt. Frau Krasnici hat mir nach wenigen Fragen ihre Geschichte erzählt, unter Tränen, mit heftigen Panikattacken, Atemnot, Kopfschmerzen und brennenden Schmerzen im ganzen Körper. Es gab wenige Momente, aber die gab es, wo sie meine Unterstützung annehmen konnte. Für mich war unzweifelhaft klar, dass Frau Krasnici schwer traumatisiert ist. Ich kenne einen Arzt, Psychotherapeut und Traumatherapeut (er meinte, so einen Brief könnte er mindestens zwei mal im Monat schreiben). Mit ihm habe ich daraufhin einen Termin für eine Untersuchung von Frau Krasnici vereinbart. Die zuständige Hausärztin wurde ebenso hinzugezogen. Sie war erstaunt über meinen Bericht, weil sie Frau Krasnici als zugänglich und freundlich und nicht als traumatisierte Person kennengelernt hat. Ich kann mir gut vorstellen, dass Frau Krasnici nicht jedermann sofort ihre Geschichte präsentiert, sondern vielmehr versucht hat, einen ‚anständigen’ und positiven Eindruck zu machen. Viele Ärzte haben leider wenig oder gar keine Kenntnisse über die Anzeichen von Trauma und den Umgang damit.
Frau Krasnici hat mir bei unserem ersten Treffen erzählt, dass sie und ihre Familie aus ihrem Haus oder ihrer Wohnung im Kosovo, in der Nähe von Pristina, unter Schlägen vertrieben worden sind. Sie war hochschwanger (8. Monat), und hat daraufhin ihr Baby verloren. Sie sind nach Ungarn geflüchtet, ausgewiesen worden und nach Deutschland gekommen. Nach ein paar Monaten erfolgte die Ausreiseaufforderung, sie gingen nach Belgien, wurden ausgewiesen, sind wieder nach Deutschland eingereist, bekamen erneut die Ausreiseaufforderung und wurden abermals abgeschoben – dieses Mal nach Ungarn. Nach Ungarn, in ein Land, in dem sie niemanden kennen und dessen Sprache sie nicht verstehen, mit nichts als ein paar Plastiktüten in den Händen!!
Bei unserem zweiten Treffen sagte Frau Krasnici, wenn sie wieder abgeschoben werden sollte, würde sie ihre Kinder nehmen und von der Brücke springen. Die Übersetzerin hat daraufhin die Kinder aus dem Zimmer geschickt. Ich nehme Frau Krasnici ernst. Es ist eine traurige Tatsache, dass traumatisierte Personen wieder und wieder traumatisiert werden. Auch wenn die Situation im Kosovo sich beruhigt hat, ist es für Roma in der Umgebung von Pristina noch immer gefährlich. Pristina liegt in einiger Entfernung von Mitrovica; diese Stadt ist intern durch eine Brücke bzw. einen Fluss in zwei ethnisch getrennte und verfeindete Stadtteile aufgeteilt, wo militante Serben noch immer Unruhe stiften. Dass sich die Situation im Kosovo einigermaßen beruhigt hat, kann Frau Krasnici nicht wahrnehmen – sie ist noch immer im Traumastatus gefangen. Aber nun ist sie nach Ungarn abgeschoben worden – mir völlig unverständlich. Die Roma im Kosovo wurden doppelt bestraft. Sie wurden von beiden Seiten missbraucht, von Serben und albanischen Kosovaren. Sie leben seit Jahrhunderten – teilweise – wie gehetzte Hunde.
Ich war entsetzt, wütend, enttäuscht und hilflos. Derzeit ist Frankreich europaweit in der Kritik wegen der massenhaften Abschiebung von Roma. Frau Merkel und Herr Westerwelle haben sich dieser Kritik angeschlossen. Man spricht von der Freizügigkeit innerhalb der Staaten der Europäischen Gemeinschaft. Was stimmt daran? Es ist nicht meine Absicht, jemanden anzuprangern. Aber ich habe Fragen:
• Ist es vereinbar mit der Menschenwürde, traumatisierte Personen abzuschieben?
• Welchen Spielraum und welche Verpflichtungen haben Behörden, diesem Recht auf Menschenwürde, das doch in unserer Verfassung verankert ist, zu entsprechen?
• Wie kann man Menschen in ein Land abschieben, dessen Sprache sie nicht sprechen, wo sie niemanden kennen, und dies mit nichts als ein paar Plastiktüten in der Hand?
• Warum kann die Landesregierung Baden-Württemberg nicht wie das Land Nordrhein-Westfalen die Aussetzung der Abschiebungen
beschließen?
•Ist es möglich, die Ausweisung der Familie Krasnici zurück zu nehmen und der Familie die Rückreise nach Deutschland zu gewähren?
Ich habe eine dringende Bitte: ich möchte zur Familie Krasnici Kontakt aufnehmen, um sie zu unterstützen und ihnen weiter zu helfen. Bitte nennen Sie mir schnellstmöglichst eine Adresse.
Diesen Brief werde ich an die Presse weiterleiten, mit der Bitte um Veröffentlichung. Es ist mir ein großes Anliegen, dieses Thema öffentlich zu diskutieren, damit Gesetze und Vorschriften geändert und auch Ihre Behörden in die Lage versetzt werden, menschenwürdig zu handeln.
Mit freundlichen Grüssen
Gisela Endel / Freiburg
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dipl. Gruppenleiterin GAG*
dipl. Körpertherapeutin SYG*