Offener Brief von Günter Grass

An den Bundesinnenminister Dr. Thomas de Maizière
und die Innenminister aller deutschen Bundesländer

„Bestürzt, empört, entsetzt, ist der Vorstand der Stiftung zugunsten des Romavolks, die Günter und Ute Grass 1997 gegründet haben.

Da schaut ganz Europa auf Frankreich und emört sich über den Umgang mit den Vertriebenen und Armutsflüchtlingen der Roma aus Rumänien, und zur gleichen Zeit ist eine Abschiebeaktion großen Ausmaßes von Deutschland in den Kosovo im Gange, die die französischen Maßnahmen noch in den Schatten stellen.

Kinder, die in Deutschland geboren sind und dort über 15 Jahre gelebt haben, hier eine Chance auf Bildung und Lebensunterhalt hatten, werden mit ihren Familien ins Nichts geschickt. Keine Unterkunft, kein Essen, keine sozialen Kontakte, keine Schulen, keine Arbeit, so sieht die Wirklichkeit der in den Kosovo verstoßenen Menschen aus. Ein Skandal für Deutschland und eine Hypothek für den europäischen Frieden.

Wer Menschenrechte in so eklatanter Weise mißachtet, spielt mit der Zukunft des Friedens auf unserem Kontinent. Aus Sicht der Stiftung handelt es sich auch um eine Verletzung der Grundregeln. Die Menschen die in den Kosovo, in eine feindliche Umgebung ohne Perspektive befördert werden, sind an Leib und Leben bedroht, da gibt es keine Zweifel. Für sie muß ein sofortiger Abschiebestopp her. Das ständig ausgegrenzte und bedrohte Volk hat nach den Greueln des letzten Jahrhunderts nie eine moralische Wiedergutmachung erfahren. Dies ist die Gelegenheit für uns Deutsche, andere Zeichen zu stezen als frühere Generationen.

Was dort passiert, treibt Roma in eine Rolle zurück, die man ihnen seit Jahrhunderten zugedacht hat; am Rande oder außerhalb der Gesellschaft wird das Leben der aus Deutschland abgeschobenen Roma zum Überlebenskampf unter erbärmlichen Umständen. Damit muß endlich Schluß sein.

Im Namen der Stiftung fordere ich die Bundesregierung und alle deutschen Länderregierungen auf, ihre Entscheidungen umgehend zu revidieren. Die UNESCO Menschenrechtsbeauftragte und der Menschenrechtskommissar des Europarates haben sich schon vor Wochen entsprechend geäußert. Es ist höchste Zeit zu handeln, dieses Unrecht wächst von Tag zu Tag.“

Vorsitzender
Günter Grass
Lübeck, den 28. Oktober 2010

Die anderen Mitglieder des Stiftungsvorstandes sind:
Annette Borns (Kultursenatorin HL Lübeck)
Cia Rinne (Autorin und Künstlerin)
Matthäus Weiss (Vorsitzender des Landesverbandes Deutscher Sinti und Roma in Schleswig-Holstein)