Möglichst Viele loswerden

Roma-Initiative kritisiert Abschiebepraxis

Der Tod einer Roma kurz nach ihrer Abschiebung aus Deutschland sei „kein Einzelfall“, sagt Iris Biesewinkel von „Rom e.V.“ im Interview mit domradio.de. Die Kölner Roma-Initiative wirft deutschen Behörden vor, die Augen vor der Not im Kosovo zu verschließen.

* Ein Interview mit Iris Biesewinkel (Rom. e.V.):
* Der Fall der Borka T. – Kosovarin stirbt nach Abschiebung (11.1.2011)

domradio.de: In seiner Tragik ist diese Abschiebung sicherlich ein Einzelfall, ist er grundsätzlich typisch auch für andere Fälle der Abschiebung?
Biesewinkel: Zum einen ist dieser Fall sicherlich sehr, sehr tragisch. Aber in der Tragik selber sicherlich kein Einzelfall, was Abschiebungen angeht. Nicht nur in den Kosovo, aber da natürlich besonders. Es ist schon ziemlich typisch, dass nach Gesetzeslage entschieden wird und die Menschen überhaupt nicht gesehen werden. Es gab einen anderen Fall, da wurde gesagt, wir haben der Frau doch ganz viel Insulin mitgegeben. Aber im Kosovo selber gab es im Hochsommer keinen Strom und keinen Kühlschrank: Das Insulin war verdorben.

domradio.de: In diesem Fall lagen fachärztliche Gutachten vor. Warum, glauben Sie, sind die Behörden nicht auf die Empfehlungen der Ärzte eingegangen?
Biesewinkel: Nach gesundem Menschenverstand fallen einem da keine Begründungen ein, warum auf die Empfehlungen der Ärzte nicht eingegangen wird. Ich glaube, die Behörden wissen sehr wohl, wie die Lage im Kosovo vor Ort ist. Aber hier wird ein Bild aufrechterhalten, das einfach real dort nicht existiert. Das Hauptanliegen der Behörden ist es, möglichst viele Menschen wieder loszuwerden. Auch, wenn das jetzt zynisch klingt.

domradio.de: Der Druck von oben ist enorm und deshalb müssen die Beamten handeln, wie sie handeln?
Biesewinkel: Der Druck von oben ist enorm. Und die Ermessensspielräume vor Ort werden behördlich vor Ort nicht überall ausgenutzt.

domradio.de: Ihr Verein setzt sich gegen die Diskriminierung von Roma ein – Hat diese Abschiebung etwas mit der Herkunft der Frau zu tun?
Biesewinkel: Roma sind nach wie vor im Kosovo als ethnische Minderheit benachteiligt und diskriminiert und teilweise auch tätlich verfolgt. Das weiß jeder, der schon mal da war. Es gibt amtliche Berichte, UNHCR-Berichte, vor allen Dingen zum Kindeswohl vor Ort. Von daher hat es natürlich etwas mit Diskriminierung von Roma zu tun.

domradio.de: Wenn Sie sagen, das weiß man sofort, wenn man mal da war – wäre es das nicht eine sinnvolle Lösung zu sagen: Alle, die über solche Sachen entscheiden, müssen mal in die Länder, um sich das mal anzuschauen und tatsächlich nach humanitären Gründen zu entscheiden?
Biesewinkel: Ich war selber ein paar Mal da. Und habe selber dieses Anliegen diversen Politikern und Entscheidern vorgetragen. Bis jetzt ist es nur punktuell passiert. Jeder, der da war, der wird so etwas nicht machen.

domradio.de: Was fordert Rom e.V., das jetzt in dem Fall dieser tragischen Abschiebung unternommen wird?
Biesewinkel: Wir fordern auf jeden Fall den sofortigen Abschiebestopp in den Kosovo, bis von oberster Stelle die Lage vor Ort für Minderheiten im Kosovo wirklich objektiv geklärt worden ist. Dann fordern wir natürlich, dass der Sohn der Verstorbenen wieder zurück nach Deutschland kommt. Hier war er voll integriert. Im Kosovo sitzt er jetzt in einem Elendsviertel, kennt dieses Land nicht. Der ist in Deutschland aufgewachsen; ein Junge, der schulisch und sozial voll integriert ist. An diesem Fall – – mal ganz abgesehen von der Tragik des Todes der Mutter – zeigt sich: Kindeswohl wird mit zweierlei Maß gemessen. Bei Deutschen käme das so nie vor. Aber Kinder ohne deutschen Pass in Elend und Perspektivlosigkeit abzuschieben, damit hat man keine Probleme.

Das Gespräch führte Stephanie Gebert.
(dr)