Pressemitteilung zur Podiumsdiskussion Abschiebungen in den Kosovo?! in Freiburg

Baden-Württembergische Landesregierung will sich für bundesweiten Abschiebestopp in den Kosovo einsetzen – aber vorerst selbst die Abschiebungen wiederaufnehmen  / Freiburg den 10. Februar 2012

Baden-Württemberg wird wieder Roma in den Kosovo abschieben. Das war die grundlegende Aussage der Landtagsabgeordneten Gabi Rolland (SPD) und Thomas Marwein (Grüne). Sie nahmen zusammen mit Kenan Emini vom Roma-Netzwerk „Alle bleiben“ an der Podiumsdiskussion teil, die am 10. Februar gemeinsam vom Freiburger Forum aktiv gegen Ausgrenzung, dem Roma-Büro, Ushten Romalen und Aktion Bleiberecht an der Universität Freiburg veranstaltet wurde. Im gut gefüllten Hörsaal verfolgten u.a. auch zahlreiche Bewohner von Freiburger Flüchtlingswohnheimen die Diskussion um ihr eigenes zukünftiges Schicksal.

Die beiden Abgeordneten gehören dem Petitionsausschuss des Landtags an und waren in dieser Funktion im Januar mit einer Delegation in den Kosovo gereist, um die Lebensbedingungen der Minderheiten der sogenannten Roma-Minderheiten dort zu ergründen. Im August 2011 hatte Innenminister Gall die vorläufige Aussetzung der Abschiebungen dieser Minderheiten in den Kosovo verkündet. Von der Empfehlung der Delegation an den Petitionsausschuss wird maßgeblich abhängen, ob die baden-württembergische Landesregierung weiterhin auf Abschiebungen verzichtet. Diese Empfehlung, die am Tag der Podiumsdiskussion gerade erst ausgearbeitet worden war, ist jedoch kein Anlass zur Erleichterung: Die Delegation sei auf ihrer Reise zu dem Schluss gekommen, so Rolland, dass es keine politische Diskriminierung von Roma-Minderheiten gebe und damit auch keinen Grund für einen generellen Abschiebestopp.

Ausnahmen wurden sofort eingeräumt, aber nicht als relevant abgetan. Die sozioökonomische Diskriminierung der Roma hingegen konnte zwar von keiner Seite geleugnet werden; sie begründet aus Sicht der Delegation lediglich eine Ausweitung bestehender Regelungen, so die Ausweitung der Petitionsregelung und der Härtefallregelung, eine größere Ausnutzung von Ermessensspielräumen der Ausländerbehörden und der geltenden Gesetze. Insgesamt scheint sich die Landesregierung mit einem Ausweichen auf Einzelfallregelungen aus der Verantwortung stehlen zu wollen, dauergeduldeten Menschen einforderbare Rechte zu verleihen. So soll auf Kinder und Kranke besondere Rücksicht genommen werden. Konkret sollen Familien mit Kindern vor Ende der Schulausbildung nicht abgeschoben werden. Auch ein regelmäßiger Abschiebestopp im Winter wurde in Aussicht gestellt. Auch sprachen die Delegierten lieber von („freiwilligen“) Rückführungen als von Abschiebung.

Die Abgeordneten beriefen sich mehrfach darauf, dass der baden-württembergischen Regierung angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat die Hände gebunden seien. Beispielsweise habe Landesinnenminister Gall soeben eine neue Bundesratsinitiative für eine verbesserte Bleiberechtsregelung angekündigt. Deren Durchsetzung hänge aber auch von den Stimmen aus den anderen Bundesländern ab. Immerhin soll die bisherige Bleiberechtsregelung auf Landesebene um zwei Jahre verlängert werden, d.h. Flüchtlinge haben weiterhin die Möglichkeit, nach langjähriger Duldung und der gleichzeitigen Erfüllung anspruchsvoller Kriterien einen dauerhaften Aufenthaltstitel zu erwerben.  Einen generellen Abschiebestopp in den Kosovo, der an eine Aufkündigung des Rückführungsabkommens der Bundesrepublik mit dem Kosovo gebunden wäre, wollte Rolland nicht einmal im Falle einer künftigen rot-grünen Bundesregierung versprechen, obwohl beide ihre persönliche Sympathie für eine solche Entwicklung bekundeten.

Die Sichtweise der Delegationsreisenden wurde mit der Perspektive von „Alle bleiben“ konfrontiert. Diese Gruppe aus Göttingen hatte sich zur gleichen Zeit im Kosovo aufgehalten, um dort die Lage zu dokumentieren. Zu Beginn der Veranstaltung zeigte der Vertreter Emini von „Alle bleiben“ auch anhand von Videomaterial von ihrer Reise im Januar auf, dass eine Vielzahl der aus Deutschland in den Kosovo zurückgekehrten Familien unter beengten und geradezu gesundheitsgefährdenden Bedingungen zu leben gezwungen sind. Ein geplantes Treffen der beiden Reisegruppen war von der Landtagsdelegation kurzfristig abgesagt worden.

Letzterer wurde nicht nur aus diesem Grund bei der Podiumsdiskussion von Emini wie auch aus dem Publikum vorgeworfen, sie sei der harten Realität des Lebens der Roma im Kosovo ausgewichen. Die Einzelfallregelungen wurden als unzureichend und die Willensbekundungen als zu vage empfunden, so der Tenor vieler Wortmeldungen.

Der Anspruch,  Abschiebungen „human“ zu gestalten, wurde als paradox aufgenommen. Gefordert wurden statt dessen von den Zuhörerinnen und Zuhörern eine couragierte Politik, in der Baden-Württemberg mit einem klaren Bekenntnis gegen Abschiebungen auch gegenüber anderen Länderregierungen den Anstoß für einen grundlegenden Wandel der bundesdeutschen Migrationspolitik zugunsten von Flüchtlingen geben solle.

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