Landesweiter Aufruf zur REFUGEES LIBERATION

Demonstration am 8. Juni in Stuttgart, 14 Uhr,  Lautenschlagerstr. (HBf), Stuttgart

30 Jahre Lagerpolitik
30 Jahre Residenzpflicht
20 Jahre faktische Abschaffung des Grundrechts auf Asyl

Erinnern und Gedenken an  die unzählbaren Toten des deutsch-europäischen Grenzregimes unter Frontex  die bekannten und namenlosen Opfer durch deutsche Abschiebepolitik und rassistische Polizeigewalt  und der Opfer der vielen Brandanschläge und gewalttätigen Übergriffe des braunen Mobs vor 20 Jahren.

Seit einigen Wochen sind Flüchtlinge mit ihrem Projekt „Refugees Liberation“ in Süddeutschland auf „Bus Tour“. Bewusst steuert die Liberation Tour die Zentren der Ausgrenzung – die verniedlichend „Gemeinschaftsunterkünfte“ genannten Lager – in Baden-Württemberg und Bayern an, in denen zehntausende Menschen seit dem 15. September 1980 unter Vorenthaltung wesentlicher Menschen- und Grundrechte lebten und leben müssen.

Baden-Württemberg hat als erstes Bundesland sechs Sammellager u.a. in Karlsruhe, Tübingen, Donaueschingen und Konstanz eingerichtet. Der Einrichtung von Sammellagern folgte der Abbau der Menschenrechte durch Residenzpflicht, Arbeitsverbot, Visumspflicht, Sozialhilfe weitgehend in Sachleistungen, Aberkennung des Rechtes auf freie Wohnortwahl, eingeschränkte medizinische Versorgung sowie zahlreiche behördliche Willkürmaßnahmen zur Repression und Einschüchterung. Der damalige Ministerpräsident Baden-Württembergs Lothar Späth kommentierte die so geschaffene Situation im Mai 1983 wie folgt: „Die Zahl der Asylbewerber ist erst gesunken, als die Buschtrommeln signalisiert haben: Geht nicht nach Baden-Württemberg, dort müsst ihr ins Lager“ eine Aussage voller entlarvender rassistischer Zynik.

Im Oktober 1985 lebten 1.000 Menschen in der Zentralen Anlaufstelle Karlsruhe – insgesamt gab es dort nur 12 Duschen. 1989 stellte der baden-württembergische Verwaltungsgerichtshof fest: „Asylbewerber aber wohnen nicht, sie hausen“ … ‚angesichts der „räumlichen Enge“, in der Flüchtlinge leben müssen, sei wohnen „wohl schon objektiv nicht möglich“‘.

Am 1. August 1982 trat das Asylverfahrensgesetz in Kraft. Sammellager und die Residenzpflicht wurden eingeführt. 1983 bestätigte das Bundesverfassungsgericht die Sammellager als „verfassungskonform“. Im Sommer 1985 scheiterte in Baden-Württemberg zunächst die ursprünglich geplante, rassistische Sammellagerpolitik. Die Geflüchteten wurden Gemeinden mit mehr als 10.000 Einwohnern zugewiesen, was diese Gemeinden relativ unvorbereitet traf. Dieses führte auf kommunaler Ebene zu erheblichen administrativen Widerständen, welche sich auch unverhohlen rassistischer Stigmatisierungen bedienten. Beim Regierungspräsidium in Karlsruhe ist man ab 1982 dabei einen neuen Lagertyp zu entwickeln. Ziel: kürzere Verfahren, schnellere Abschiebungen. Im Februar 1988 brachte Baden-Württemberg sein Lagermodell als Antrag in den Bundesrat ein, welcher nach dafür notwendigen Beschlüssen zum weiteren Abbau von Verfahrensrechten für Asylbewerber am 1. Oktober 1989 als „Karlsruher Modell“ bundesweit eingeführt wurde. „Der Ausschluss von Beratung und Information der Flüchtlinge sei das Wesentliche des Karlsruher Modells“ erklärte der damalige Chef des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge von Nieding 1989. Das Karlsruher Modell mündete schließlich im sogenannten „6 Wochen Modell“, welches am 10. Oktober 1991 im „Allparteiengespräch beim Bundeskanzler“ thematisiert wurde. Trotz aller rechtlichen Bedenken wurde es in Baden-Württemberg gemeinsam mit dem neuen Sammellagertyp (Bezirksstellen) eingeführt und somit Fakten geschaffen. Zwei Wochen Verfahren, eine Woche Rechtsmittelfrist, zwei Wochen gerichtliches Verfahren, eine Woche Aufenthaltsbeendigung. Das Staatsministerium von Baden-Württemberg selbst gab 1991 hierzu zu bedenken, dass „ein funktionierendes 6-Wochen-Modell“ ohne Grundgesetzänderung praktisch nicht umsetzbar sei. Selbige erfolgte bekanntermaßen durch den sogenannten Asylkompromiss, welcher am 6. Dezember zwischen CDU/CSU und SPD zur Absicherung der verfassungsgebenden Mehrheit ausgehandelt wurde und am 26. Mai 1993 durch den Bundestag beschlossen wurde. Hierdurch wurde das bis dahin verfassungsmäßige Grundrecht auf Asyl faktisch ausgehebelt, da Asylanträge nach Einreise über sogenannte sichere Drittstaaten ausgeschlossen wurden und Deutschland als europäischer Binnenstaat von solchen vollständig umgeben ist.

Begleitet wurde diese rassistische Politik von medialer Hetze („Das Boot ist voll“ „Asylantenflut“) und mündete schließlich in Gewaltexzessen, Brandanschlägen und Säureattacken von neonazistischen Gruppen auf ausländisch identifizierte Personen, deren Wohnungen und Einrichtungen sowie auf Sammellager, welche teilweise von einem rassistischen Mob offen begleitet wurden. Politik und Polizei haben bei diesen Pogromen tatenlos zugesehen und das Thema noch weiter menschenverachtend aufgeladen, obwohl es dabei zahlreiche Tote und viele Verletzte zu beklagen gab.

Die konservative Politik Baden-Württembergs trägt eine große Verantwortung für die Durchsetzung der Lagerpolitik, den Abbau der Menschenrechte sowie für die Grundgesetzänderung und das kaum mehr wirksame Asylrecht in der Bundesrepublik Deutschland.

Weiterhin ist Baden-Württemberg für die Entwicklung und Einführung des Asylbewerberleistungsgesetzes entscheidend mitverantwortlich, da auch hierzu am 12. Oktober 1990 von Baden-Württemberg ein Gesetzesentwurf für ein „Gesetz über Leistungen an Asylbewerber“ mit dem Ziel, selbige aus der Bundessozialhilfe auszugrenzen, vorgeschlagen wurde – wie wir heute wissen mit Erfolg.

Gegen 30 Jahre, der von rassistischen Ressentiments und Unterdrückung geprägten Flüchtlingspolitik in Deutschland protestieren Geflüchtete der Refugees Liberation Bus Tour in den letzten Wochen in Baden-Württemberg und Bayern. Die Bus-Tour hat die einzelnen Sammelunterkünfte angefahren um mit den Menschen in den Lagern in Kontakt zu treten, sie über die anhaltenden Proteste des letzten Jahres und weitere geplante Protestaktionen zu informieren sowie um Erlebnisberichte von Betroffenen für das Internationale Flüchtlingstribunal gegen die BRD in Berlin (13.-16. Juni 2013) zu sammeln.

Die Behörden reagierten nervös auf die Kontaktaufnahme, vor allem auf die Videodokumentationen der Lebensbedingungen in den Flüchtlingslagern. Um die Aktiven der Bus-Tour einzuschüchtern wurde von den Betreibern der Lager und den zuständigen Behörden immer wieder die Polizei eingeschaltet. Polizeiliche Verfolgung, Überwachung, Einschüchterungsversuche, nahezu tagtägliche Kontrollen und wiederholte kurzzeitige Festnahmen als repressive Formen politisch motivierter Kriminalisierung waren der behördliche Beitrag zu unserer Liberation Bus Tour.

Dem entgegen konnten jedoch auch weiterführende Kontakte mit Unterstützer_innen und politischen Gruppen in der Region aufgebaut werden, die das Netzwerk des Protestes nachhaltig gestärkt haben, so dass die ursprüngliche reflexhafte Rechnung der Behörden ganz sicher ohne diesen Solidarisierungseffekt gemacht wurde.

Mit der Demonstration am 8. Juni 2013 in Stuttgart möchten wir die Refugees Liberation Bus Tour mit euch allen, die ihr die Bus-Tour in den letzten Wochen unterstützt habt, beenden.

Mobilisiert nochmals in den einzelnen Lagern und kommt alle nach Stuttgart.

Menschenrechte sind unteilbar!
Keine Pflicht in Sammellagern leben zu müssen!
Abschaffung aller Sammellager und der Residenzpflicht!
Das Asylbewerberleistungsgesetz muss ersatzlos gestrichen werden – gleiche soziale Rechte für alle Menschen!
Keine Kriminalisierung von Personen der Refugees Liberation Bus Tour!

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