„Richterliche Willkür – Besorgnis der Befangenheit“

Pressemitteilung: The VOICE Refugee Forum Germany vom 11.11.2013

Die im Verfahren gegen Mbolo Yufanyi Movuh wegen Widerstandshandlungen gegen Polizeibeamte und versuchter Gefangenbefreiung zuständige Richterin Marieluis Brinkmann beschneidet den Angeklagten in seinen Rechten, gängelt das interessierte Publikum, bemuttert einen mutmaßlich gewalttätigen Polizeizeugen mit schützender Hand und verweigert schließlich die unverzügliche Unterbrechung der Beweiserhebung zur Stellung eines Befangenheitsantrages seitens des anwaltlichen Verteidigers.

Das Verfahren gegen Mbolo Yufanyi Movuh wurde am 26. September eröffnet, weil er am 15.10.2012 in Berlin bei den Protesten gegen die Zusammenarbeit der nigerianischen Botschaft mit dem deutschen Staat bei der Abschiebung von Flüchtlingen teilgenommen hat und ihm o.g. Vorhaltungen durch Anzeigenvon Polizisten zur Last gelegt werden (Aufruf Prozessbegleitung:

http://thevoiceforum.org/node/3337, Stellungnahme vor Gericht:
http://thevoiceforum.org/node/3344 und Prozessbericht:
http://thevoiceforum.org/node/3351). Weitere Termine der Verhandlung waren
der 14. und 28.10.13 statt (kurzer Prozessbericht:
http://www.thevoiceforum.org/node/3370 ).

Gleich zu Beginn des ersten Verhandlungstages ergriff der für alle diese Verfahren anklagende Staatsanwalt Markus Winkler das Wort, noch bevor der Angeklagte seine Eingangserklärung überhaupt beenden konnte und forderte von der Richterin Marieluis Brinkmann durchzusetzen, dass im Zuschauerraum absolutes Stillschweigen durchgesetzt werden müsse. Dabei verwies er auf vorherige Verfahren, in denen es seiner Meinung nach bereits zu „Störungen“ seitens der Prozessbeobachter gekommen sei und deswegen nun jede noch so leise Meinungsbekundung (insbesondere zu seinen Äußerungen!) doch möglichst bereits im ‚Keim‘ verhindert werden müssten. Frau Brinkmann ließ diese rechtswidrige Unterbrechung der Ausführungen des Angeklagten unkommentiert zu, trotz des Hinweises der Verteidigung, dass der Großteil der stattfindenden Flüstergespräche im Zuschauerraum Übersetzungen für Beobachter bzw. Erläuterungen für neu hinzugekommene Beobachter waren.

Der Hauptbelastungszeuge und mutmaßliche Verfasser der Strafanzeige Polizeikommissar Lamprecht von der 11. Einsatzhundertschaft der Bereitschaftspolizei Berlin ist seit dem ersten Prozesstag im Zeugenstand und wird insbesondere seitens der Anwälte der Verteidigung intensiv zu den Vorgängen am „Tattag“ und speziell zu seinen bisherigen Einlassungen zur Sache befragt. Eine Aufforderung des Angeklagten an den diesen Polizeibeamten doch bitte etwas lauter zu sprechen, da er ihn kaum verstehen könne (Mbolo Yufanyi ist kein deutscher Muttersprachler), versuchte Frau Brinkmann mit der Bemerkung abzubürsten, dass sie den Zeugen deutlich genug verstehe. Eine Intervention seitens der Rechtsanwälte mit dem Hinweis auf die anwesende Öffentlichkeit versuchte die Richterin damit abzublocken, dass das Verfahren ja schließlich nicht FÜR die Öffentlichkeit durchgeführt werden würde und dass sie ohnehin vermute, dass der Einwurf des Angeklagten letztlich nur zur besseren Wahrnehmung für das Publikum erfolgt sei.

Der PK Lamprecht wurde nach den eher allgemein-oberflächlichen Befragungen  durch Richterin Brinkmann und Staatsanwalt Winkler erst durch die Anwälte der Verteidigung einer der Sache angemessenen Befragung unterzogen. Hierbei offenbarte der „Zeuge“ nicht nur ein äußerst wechselndes situatives Erinnerungsvermögen – er legte einerseits mindestens einen gemeinschaftlichen Zeugenaustausch anlässlich einer nachträglichen Videoschau zum besagten Tattag offen und wurde andererseits auch mit höchst unterschiedlichen Einlassungen in 3 verschiedenen Gerichtsfällen (Mbolo Yufanyi, Aboubacar Sy und Thomas Ndindah) konfrontiert, die aber letztlich alle in einem Geschehenszusammenhang stehen. Richterin Brinkmann verfolgte dieses Geschehen mit einem deutlichen Gesichtsausdruck des Desinteresses und schloss des Öfteren ihre Augen. Später sinnierte sie mit offenen Augen, dass sie dem Verfahren „…intellektuell nicht gewachsen sei.“ und unterstellte den Anwälten der Verteidigung im Folgenden, dass ihre Fragestellungen nicht in Zusammenhang mit der Wahrheitsfindung des angeklagten Sachverhaltes zu bringen seien. Sie erklärte dem befragten Zeugen empathisch, dass sie zwar die Verfahrensleitung innehätte, aber keine Lust habe, die anwaltliche Befragung zu begrenzen, da zu erwartende Anträge derselben am Ende noch mehr Zeit in Anspruch nehmen würden. Die Befragung des Polizeibeamten zum Thema eventueller rassistischer Motivationen kommentierte sie lakonisch: „Dann fragen Sie ihn doch gleich, ob er Rassist ist!“

Der dritte Verhandlungstag startete gleich von Beginn an mit einem Eklat: ein Zuschauer und Aktivist des VOICE Refugee Forum, der eng und kontinuierlich mit der originären Berichterstattung der Gerichtsfälle befasst ist, wurde vom Gerichtsschreiber beobachtet, wie er sich Notizen auf einen Zettel notierte. Richterin Marieluis Brinkmann erließ daraufhin ein umgehendes Verbot von Mitschriften – dies sei ausschließlich akkreditierten Pressevertretern erlaubt. Auf Nachfrage nach dem Grund des Verbotes erklärte sie hochtrabend, sie allein könne bestimmen wer schriftliche Notizen machen dürfe. Diese Missachtung des öffentlichen Interesses am Geschehen im Gericht ist unerträglich, da hierdurch keinerlei nachvollziehbares Interesse ‚geschützt‘ werden kann bzw. die selbstbestimmte Berichterstattung maximal erschwert, aber keineswegs verhindert werden kann.

Die Fortsetzung der anwaltlichen Befragung des Polizeikommissars Lamprecht zu den am Ende des zweiten Verhandlungstages begonnen Skizzierungen vom Tatgeschehen führte geradewegs zum Nächsten: Richterin Brinkmann gab zu verstehen, dass sie mit den angefertigten Skizzen so gar nichts anfangen könne, wobei sie es auch tunlichst vermieden hatte, diesbezüglich Fragen zur Erhellung ihres ‚Intellekts‘ zu stellen. Auf Nachfrage des Anwalts der Verteidigung, ob sie erneut meine, dass auch diese Situationsskizzen nichts mit der Aufklärung des Sachverhaltes zu tun haben würden, antwortete sie als Wiederholung vom vorhergehenden Verhandlungstag: „Ja – im Wesentlichen sind die Fragen unerheblich.“ Als der Anwalt hierauf eine Unterbrechung der Verhandlung zur Besprechung mit seinem Mandanten wegen eines unaufschiebbaren (Befangenheits-)Antrages sowie ein wörtliches Zitat der Richterin im Gerichtsprotokoll beantragte, wurden diese durch die Richterin mit der Begründung abgelehnt, dass zu ersterem ein Vermerk im Protokoll erfolge, mit dem der Unaufschiebbarkeit Genüge getan wäre und die Vernehmung des Zeugen Lamprecht dann ungestört fortgesetzt werden könne und zu letzterem, dass dies nicht erforderlich sei. Erst der Antrag des Anwaltes auf richterliche schriftliche Beschlüsse führte dann doch zu einer letztlichen Zwangspause zur schriftlichen Ausformulierung derselben

– die Möglichkeit zur Beratung mit seinem Mandanten ergab sich hierbei lediglich als eine kollaterale Nutzung der Pausenzeit. Die Vernehmung des Zeugen Lamprecht wurde nach Verkündung der richterlichen Beschlüsse unbenommen fortgesetzt, obwohl sie bei Bestätigung einer Befangenheit nach all den hier beschriebenen Unsäglichkeiten sowieso ganz von vorn beginnen müsste – nämlich unbefangen!

Wir, die Aktivisten des VOICE Refugee Forum Germany und der Karawane für die Rechte von Flüchtlingen und Migranten in Deutschland verurteilen das arrogante und rechtsbeugende Verhalten der Richterin Marieluis Brinkmann mit aller gebotenen Schärfe – auch und insbesondere im Namen der Öffentlichkeit vor Gericht. Das ostentativ zur Schau gestellte Desinteresse der Frau Brinkmann an relevanten Fakten des Falles im Gleichschritt mit der Einschränkung der Rechte des Angeklagten sowie des öffentlichen Interesses an einer selbstbestimmten Berichterstattung halten wir für unwürdig und anmaßend. Wir unterstützen den Befangenheitsantrag der Verteidigung als notwendige Voraussetzung zur Gewährleistung eines rechtsstaatlichen Verfahrens, das dieser Bezeichnung auch entsprechende Rechnung tragen soll.

Obwohl wir und Mitstreiterinnen vor deutschen Gerichten stehen und gezwungen sind uns zu verteidigen, wissen wir, dass wir Gerechtigkeit für Yufanyi Movuh und die anderen angeklagten AktivistInnen weder erfahren werden, noch erwarten können. Dass wir überhaupt vor Gericht stehen müssen ist schon eine Farce. Wir werden diese Gerichtsverhandlungen dennoch als politische Plattform nutzen, um die polizeilichen Lügen und die verfassungswidrigen und undemokratische Verhaltensweisen von Staatsanwaltschaft und Gerichten aufzudecken.

Dieses haben wir bereits in den Fällen von Ndeye Marieme Sarr, Oury Jalloh, Layé Conde, Dominique Koumadio, Christy Schwundeck und anderen herausgestellt. Diese schwarzen Schwestern und Brüder wurden alle von der deutschen Polizei ermordet und die Verbrechen von den Staatsanwälten und Richtern vertuscht. Ihre Familien haben bis heute keine Gerechtigkeit vor deutschen Gerichten erfahren. Dass in keinem dieser Fälle eine Aufklärung der Wahrheit oder eine Entschädigung für die Familien erreicht worden ist, ist nicht überraschend für uns – und wir werden auch nicht überrascht sein, wenn diejenigen, die heute noch leben und sich zur Wehr setzen in diesem rassistischen System keine Gerechtigkeit erfahren werden. Dennoch, soll die Menschheit dieses Planeten erfahren, dass es in Deutschland und Europa keine wirkliche Gerechtigkeit gibt.

The VOICE Refugee Netzwerk Deutschland
Nächste Prozesse:
Mbolo Yufanyi M.:
14.11.2013, 10:50 Raum 672 Turmstr 91 (falls der Befangenheitsantrag
abgelehnt wird)

Aboubakar Sy:
19.11.2013, 12:00. Raum D 113 im Hauptgebäude Turmstraße(Eingang über
Wilsnacker Straße 4).

Weitere Informationen zu Mbolos Verhandlung unter:
http://thevoiceforum.org/node/3337 – http://thevoiceforum.org/node/3351 –
http://thevoiceforum.org/node/3370

Hintergründe: http://thevoiceforum.org/search/node/Nigerian%20Embassy

Kontakte: Mbolo Yufanyi Movuh (+49 170 8788124; the_voice_berlin@emdash.org)
Rex Osa (+49 176 27873832; thevoice_bdw@yahoo.de)
Thomas Ndindah (+49 176 99621504; thevoiceforum@gmx.de)