Materialien zur Diskussion über die Einrichtung einer Landeserstaufnahmeeinrichtung (LEA) in Freiburg
Lagerunterbringung bricht Recht
Eine Landeserstaufnahmeeinrichtung (LEA) ist Teil der Logistik eines Migrationsregimes, das in den letzten 30 Jahren aufgebaut wurde. Die LEA ist Teil eines funktionierenden Flüchtlingsunterbringungssystem in denen abgesenkte Leistungen und rechtliche Einschränkungen (kein Recht auf wohnen, Kontrolle und Überwachung, kein Recht auf Bewegungsfreiheit, keine Privat und Intimsphäre,Ghettoisierung etc.) am besten durchgesetzt werden können. Am System der Ghettoisierung wird nach wie vor festgehalten: Flüchtlingsaufnahmegesetz, Asylbewerberleistungsgesetz, Asylverfahrensgesetz, Verordnungen, Hausordnungen etc. diktieren nach wie vor das rechtlich eingeschränkte Leben, wie Geflüchteter ohne gesicherten Aufenthaltsstatus zu existieren haben..
Dokumente
- Flyer Tübingen Flyer Karlsruhe Demo Freiburg
- Flugblatt Aktionstag 92 Protest gegen Bezirkssammellager in Freiburg 92
- Protest in FR Ärzte nehmen Stellung Vauban Vauban-Besetzung
- Broschüre Zast Karlsruhe Broschüre zum Thema Lager
Lager ab dem 15. September 1980
Begonnen hat alles im September 1980 in Baden-Württemberg. Flüchtlinge, die nach dem 15. September 1980 in Baden-Württemberg Asyl begehrten, mussten in die Zentrale Anlaufstelle für Asylbewerber (ZASt) in Karlsruhe und wurden anschließend in eines der damaligen 6 Sammellager eingewiesen. Ende 1983 waren in Baden-Württemberg bereits ca. 25 % aller Flüchtlinge in Lager untergebracht. Das politische Legitimationsmuster für die drastischen Verschärfungen lieferte das Stigma „Asylmissbrauch“.
Zuvor Ausländerbehörden zuständig
Zuvor waren in Baden-Württemberg 119 kommunale Ausländerbehörden mit Asyl-Anträgen und Erst-Anhörungen befaßt. Die Akten gingen zur Entscheidung nach Zirndorf und nach einer Anhörung der Antragstellerenin / Antragsteller wieder zurück an die Ausländerbehörden, die dann den Aufenthalt bzw. die eventuelle Abschiebungen anordnen konnten. Die entscheidende Anhörung beim Bundesamt fand so erst einige Monate nach Ankunft des Flüchtlings statt, sie / er konnte dann schon etwas Deutsch, hatten Kontakte zu erfahrenen Flüchtlingen und Asylgruppen, sowie zu Rechtsanwälten. Die Asylverfahren dauerten Anfang in den 80er Jahren im Schnitt 12 bis 14 Monate.
Außenstelle der ZAST in Freiburg
Bereits im Juni 1992 wurde in Freiburg eine Außenstelle der ZASt-Karlsruhe, eine sogenannte Bezirksstelle für Asyl, in der Freiburger Vauban durchgesetzt. Seit 1982 war das RP_KA in der ZASt-Karlsruhe dabei, einen neuen Lagerunterbringungstyp zu entwickeln. Der Entwicklung dieses neuen Lagertyps diente auch die Bundesratsinitiative im Februar 1988 des Landes Baden-Württemberg.
Sie hatte die weitere Beschleunigung der Anerkennungsverfahren und leichtere Abschiebungen zum Ziel. (Badische Zeitung vom 3.3.1988) „Zudem verlangt die Landesregierung die Zustimmung des Bundes zur Einrichtung einer einzigen zentralen Behörde in allen (Bundes) Länder mit der Zuständigkeit ,Abschiebebeschlüsse zu erlassen, um ein effektives Verwaltungshandeln sicher zustellen“.
Karlsruher Modell
Am 1. Oktober 89 wurde das Karlsruher Modell bundesweit eingeführt. Für Baden-Württemberg galt: Alle Erst- und Folgeanträge konnten dann nur noch in der Zentralen Anlaufstelle des Landes (ZASt) gestellt werden. Die 119 kommunalen Ausländerbehörden verloren ihre Zuständigkeit. Der Bundesamtschef von Nieding erklärte gegenüber dem Spiegel am 12. Juni 1989, dass der Ausschluss von Beratung und Information der Flüchtlinge das Wesentliche des Karlsruher Modells sei. Dies bestätigten auch die Beamten in der Karlsruher ZASt.
Bundesweite Durchsetzung des Karlsruher Modells
An den Bundesrat gerichtet forderte das Land Baden-Württemberg: „Der Bundesrat sieht ergänzend die Notwendigkeit, dass auch der Bund seinen Beitrag zu einer zügigen Abwicklung des Asylverfahrens erbringt. Er fordert die Bundesregierung deshalb auf, zentrale Auffangstellen für Asylbewerber einzurichten, von denen aus die Verteilung auf die Länder nach dem festgesetzten Verteilungsschlüssel erfolgen kann.“ Ein „Gesetz zur Neuregelung des Asylverfahrens“ trat am 1.Juli 1992 in Kraft, der §44 verpflichtete die Bundesländer zur Schaffung von Aufnahmeeinrichtungen, den „Erstaufnahmeeinrichtungen“ (EA’s) oder Zentralen Anlaufstellen (ZASten), in denen Flüchtlinge „bis zu drei Monaten“ Aufenthalt haben (§47), danach „sollen“ Flüchtlinge gemäß § 51 „in der Regel in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht werden“. Für die
gerichtlichen Verfahren werden Klage- und Begründungsfristen verkürzt, für den Regelfall sind Entscheidungen durch den Einzelrichter vorgesehen. Die Folgen der Einrichtung einer zentralen Anlaufstelle in Rostock sind bekannt.
Karlsruher Modell bundesweit durchsetzen
In einer vertraulichen Beschlussvorlage des Ministerrates Ba.-Wü vom Dez.91wurde betont:
„ungeachtet der erheblichen Bedenken, ob das am 10.10.91 (Allparteiengespräch beim Bundeskanzler) vereinbarte ‚6 Wochen Modell‘ zur Beschleunigung der Asylverfahren rechtlich und praktisch möglich ist, ist der Ministerrat der Auffassung, dass seitens des Landes alle Anstrengungen unternommen werden müssen, um das Modell soweit wie möglich zur Anwendung zu bringen.“
In diesem Papier wurde weiter thematisiert:
–die Ausweitung des Karlsruher-Modells in weiteren Sammellager Baden-Württembergs. Das waren die Städte: Freiburg, Reutlingen, Rastatt, Ludwigsburg. Dazu kamen noch Offenburg und
Göppingen.
–Bessere Zusammenarbeit der Behörden,
–Änderung des Bauplanungsrecht, damit in den Kommunen die Umsetzung und Einrichtung der Sammlager möglich war,
–die Einführung des Sachleistungsprinzips für die Betroffenen,
–Informationsabgleich, die ED-Behandlung und eine schnellere Auswertung der Daten.
Für die Umsetzung des Bezirksstellenkonzepts veranschlagte das Land Baden-Württemberg 100 Millionen DM.
Schnellverfahren führt zur GG-Änderung Artikel 16 – Asylrecht
Bei Asylbewerbern „die für eine Anerkennung als Asylberechtigte offensichtlich nicht in Frage“ kamen, sollte das Verfahren in ca. 6 Wochen rechtskräftig beendet werden. Dies bedeutete nach dem Gespräch zugrundeliegenden Papier
1. Sammelunterbringung während des Verfahrens,
2. erweiterte Prüfungs- und Entscheidungskompetenz des Bundes hinsichtlich aller Abschiebehindernisse,
3. verwaltungsgerichtliche Eilverfahren mit obligatorischem Einzelrichter
4. und umgehende Aufenthaltsbeendigung in der Zuständigkeit der Länder. Hinzu kommen weitere
flankierende Maßnahmen.
Die 6 Wochen sollen sich in:
– höchstens 2 Wochen Verwaltungsverfahren,
– 1 Woche Rechtsmittelfrist,
– 2 Wochen gerichtliches Eilverfahren und
– 1 Woche Aufenthaltsbeendigung
Das Staatsministerium gab in dem Papier von 1991 selbst zu bedenken, dass „ein funktionierendes 6-Wochen-Modell“ „ohne Grundgesetzänderung“ kaum möglich ist. ( „Dies gilt insbesonders hinsichtlich des Voraufenthalts von Asylbewerbern in sicheren Drittsstaaten.)“ (Es ging um die
Definition des offensichtlich unbegründeten Asylantrags, die Trennung zwischen politisch und nicht politisch Verfolgten.)
Kämpfe in Freiburg und Baden-Württemberg
Vom ersten Tag als die Außenstelle der ZASt-Karlsruhe nach Freiburg kam, gab es massive Proteste. Am 27. Juni 1992 fand bereits eine Demonstration in Freiburg statt. Zuvor am 20. Juni 1992 wurde bei einer landesweiten Demonstration in Karlsruhe die ablehnende Haltung zu den geplanten Lager zum Ausdruck gebracht. Am 26. September 1992 kam es zu einer Besetzungsaktion und zu einer Demonstration in Freiburg zum geplanten „Bezirkssammellager“ in der Vauban. Die Wiesentalstraße wurde von 13.00 Uhr bis in die Nacht besetzt. Ein massives Polizeiaufgebot schützte das Gelände und die Häuser. Die Bezirksstelle Asyl wurde 2002 wieder geschlossen. In den neun Jahren kam es immer wieder zu Protesten, Hungerstreiks, Polizeiübergriffen, ein Mensch wurde schwer verletzt, als er aus dem Fenster sprang und sich so einer Abschiebung entziehen wollte.
Die Anhörungen sind teilweise in der Broschüre von SAGA dokumentiert:
https://www.yumpu.com/de/document/view/21150694/asyl-verfahren-saga-rasthaus/95
Die neue Außenstelle LEA in Freiburg steht in der Tradition der entwickelten Lagerpolitik Baden-Württembergs. Die momentane Situation in Karlsruhe zeigt, dass das aktuelle Asylsystem nicht funktioniert bzw. erneut versagt hat. Ausgrenzung funktioniert nicht, sie führt nur zu einem weiteren Rassismus. Jahrelang wurde von der Drittstaatenregelung, Dublin II und der tödlichen EU-Abschottung profitiert. Deutschland lag fernab jeglicher Flüchtlingsbewegungen. Da nun wieder mehr Antragsteller KA erreichen, bricht das System zusammen. Ein System was auf Ausgrenzung beruht und Menschen oft jahrelang unter diskriminierenden Bedingungen in Sammelunterkünften untergebringt. Parallel dazu gab es in den Kommunen keine Anstrengungen bzw. ein Programm dem Grundrecht auf Asyl gerecht zu werden. Nach bald 35 Jahren stehen die Kommunen und Städte nach wie vor mit leeren Händen und mit ihren alten Containern und Billig-Häuser aus den 80er da, die zwischenzeitlich kaum mehr bewohnbar sind.
Vielleicht jetzt eine Möglichkeit eine neue Debatte anzustossen!
Walter