Der Schwarz-Grüne Asylkompromiss
Liebe KollegInnen,
anbei der Versuch, den Schwarz-Grünen Asylkompromiss Kretschmann /Altmaier in einen Zusammenhang mit der aktuellen ausländer- und asylpolitischen Agenda der Bundesregierung zu stellen. Menschenrechte sind nicht verhandelbar, hier wurden sie für Appel und nen Ei verkauft, die aktuelle Agenda blieb scheinbar komplett ausgeblendet. Weitere massive Verschärfungen – neue Arbeitsverbote, neue Haftgründe, neue Ausweisungsgründe – stehen an, Gesetzentwürfe und Stellungnahmen siehe hier mehr Infos
1. Der BMI-Entwurf zum AufenthG
Die ausländer- und asylpolitischen Agenda des BMI: Kein Bleiberecht, umfassende Entrechtung der Geduldeten, neue Arbeitsverbote und Leistungskürzungen, massiver Ausbau der Abschiebehaft
2. Ausländer- und asylpolitische Forderungen
Versuch einer Zusammenstellung ausländer- und asylpolitische Forderungen aus flüchtlingspolitischer Sicht.
3. Der Schwarz-Grüne Asylkompromiss
Wortlaut und Analyse Asylkompromiss, Rechtfertigungsschreiben Kretschmann
1. Der BMI-Entwurf zum AufenthG vom April 2014
Wortlaut und Stellungnahmen – mehr Infos
Pauschale Mißbrauchsvorwürfe und neue Einreisesperren
Das Verbot der Aufenthaltserteilung und eine Wiedereinreisesperre sollen u.a. gelten in folgenden Fällen:
§ 11 Abs. 6 AufenthG neu: für „Ausländer, die ihrer Ausreisepflicht nicht innerhalb einer gesetzten Ausreisefrist nachgekommen sind“
§ 11 Abs. 7 AufenthG neu: „für Ausländer, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass sie in das Bundesgebiet eingereist sind, um öffentliche Leistungen zu beziehen, die der Sicherung des Lebensunterhaltes dienen. Die Einreise gilt regelmäßig als zum Zwecke des Bezugs von öffentlichen Leistungen getätigt, wenn ein Asylantrag als unzulässig, unbeachtlich oder offensichtlich unbegründet abgelehnt wird oder wenn ein Antrag nach § 71 oder § 71a AsylVfG (Asylfolge- oder Zweitantrag) nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens führt.“
Neue Ausweitung des Arbeitsverbots, neue Leistungseinschränkungen nach AsylbLG
Der BMI-Entwurf zum AufenthG sieht in § 11 Abs. 7 AufenthG für die Mehrzahl aller Geduldeten die gesetzliche Fiktion der „Einreise zum Leistungsbezug“ vor – unabhängig von den tatsächlichen Einreisegründen. Daraus folgen dann eine dauerhafte Leistungskürzung nach § 1a AsylbLG und ein absolutes Arbeitsverbot nach § 33 BeschV.
Der BMI-Entwurf versucht, mit Hilfe der genannten Änderung des AufenthG das BVerfG-Urteil zum AsylbLG vom 18.07.2012 (Verbot der Leistungskürzung unter das menschenwürdige Existenzminimum) umfassend auszuhebeln, indem die Leistungskürzung für Geduldete nach § 1a AsylbLG zum Regelfall werden soll.
Neue Verbote der Aufenthaltserteilung – keine Bleiberecht
Der BMI-Entwurf zum AufenthG verhindert umfassend jedes humanitäre Bleiberecht mit dem Verbot der Aufenthaltserteilung nach § 11 Abs. 6 oder 7 AufenthG – nach geltendem Recht ebenso wie das neue „Bleiberecht“ nach § 25b AufenthG – und führt die Kettenduldung wieder ein.
Die Aufenthaltserlaubnis nach § 25 V AufenthG (Regelung zur Abschaffung der Kettenduldung) wird ebenfalls obsolet, da auch für diese Erlaubnis künftig die Erteilungsverbote des § 11 AufenthG anwendbar sein.
Bereits durch die genannten Ausschlussregelungen wird die geplante stichtagsunabhängige Bleiberechtsregelung faktisch leer laufen. Hinzu kommt, dass gegenüber der in der Koalitionsvereinbarung Bund festgelegten Regelung auch die Voraussetzungen des Bleiberechts nochmals verschärft wurden.
Abschiebehaft soll umfassend ausgeweitet werden, Dublin-Fälle regelmäßig inhaftiert werden
Die Abschiebehaftgründe sollen umfassend ausgeweitet werden, so sollen bereits die illegale Einreise unter Umgehung einer Grenzkontrolle als Haftgrund ausreichen – was auf praktisch alle asylsuchenden und geduldeten Ausländer zutrifft.
Die geplante Ausweitung der Haftgründe würde zudem ausnahmslos alle Dublin- Fälle betreffen, zumal als Haftgrund auch gelten soll, dass der Antragsteller „bereits früher in einem anderen Mitgliedstaat untergetaucht ist“ oder „einen Mitgliedstaat verlassen hat, bevor ein dort laufendes Verfahren zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz abgeschlossen wurde“, beides Tatbestände, die auf Dublin-Fälle regelmäßig zutreffen.
Das Ausweisungsrecht soll umfassend verschärft werden
Vgl. auch dazu die Stellungnahmen unter http://www.fluechtlingsinfo-berlin.de/fr/zuwg/AendG_AufenthG_2014.html
2. Ausländer- und asylpolitische Forderungen
– Versuch einer Zusammenstellung aus flüchtlingspolitischer Sicht –
- AsylbLG abschaffen
- Insbesondere Abschaffung der Kürzung § 1a, des Sachleistungsprinzips und der Minimalmedizin. Einbeziehung in die gesetzliche Pflichtkranken- und Pflegeversicherung
- Menschenrechtliche Mindeststandards bei der Asylaufnahme und Unterbringung sichern, Standards für dezentrale Unterbringung gewährleisten, besondere Bedarfe für vulnerable Flüchtlinge sicherstellen.
- Zugang zu Mietwohnungen verbessern, WoBindG ändern
- Kontingente für Flüchtlinge bei gemeinnützigen und kommunalen Vermietern; Beratung und Unterstützung von Flüchtlingen bei der Wohnungssuche finanzieren; rechtsverbindliche Miet- und Kautionsübernahmebescheinigungen der Sozialleistungsträger zur Wohnungssuche, Zugang zu Sozialwohnungen für Asylsuchende und Geduldete im WoBindG wieder einführen, Belegungsrechte im WoBindG sichern.
- Bleiberecht statt neuer Verschärfung des AufenthG
- Umfassendes stichtagsunabhängiges BleibeRecht, vgl. § 25b AufenthG-Entwurf Bundesrat v. 22.03.2013
- http://www.fluechtlingsinfo-berlin.de/fr/pdf/505-12%28B%29_GE_BR_Bleiberecht.pdf
- und http://www.fluechtlingsrat-berlin.de/bleiberecht.php#17
- Verzicht auf neue Einreisesperren und Missbrauchsvorwürfe (§ 11 Abs. 6 + 7 BMI AufenthG-E)
- Verbesserung statt Einschränkung humanitäres Bleiberecht (vgl. § 25 V BMI AufenthG-E – neue Sperre § 11!)
- Abschaffung statt Ausweitung der Abschiebehaft (vgl. AufenthG-Novelle BMI Entwurf)
- Keine Verschärfung des Ausweisungsrechts (zugleich Ausschlussgründe für BleibeR, vgl. BMI AufenthG-E)
- Abschaffung der Wohnsitzauflagen bei Aufenthaltserlaubnis, VwV § 12 AufenthG
- Streichung Ausreisezentren und Residenzpflicht (§ 61 AufenthG)
- Soziale Rechte und Legalisierung von Menschen ohne Papiere, Übermittlungsverbot statt Denunziationspflicht (§ 87 AufenthG, § 11 AsylbLG, SGB X u.a.m)
- Ausländerrecht dem BMAS statt BMI zuordnen, Ausländerbehörden als Servicecenter umgestalten
- Abschaffung des Arbeitsverbotes
- Abschaffung Arbeitsmarktprüfung (Vorrangprüfung und Prüfung Arbeitsbedingungen) für Asylsuchende und Geduldete, Abschaffung absolutes Arbeitsverbot Geduldete wg Missbrauchsvorwürfen (§ 33 BeschV), Streichung Missbrauchsvorwurf § 11 Abs. 7 BMI AufenthG-E. Achtung: Nur Wartefristverkürzung ändert nichts wenn Arbeitsmarktprüfung bleibt! Streichung Arbeitsmarktprüfung reicht nicht wg Arbeitsverbot nach § 33 BeschV bleibt!
- AsylVfG
- Verzicht auf Ausweitung sicherer Herkunftsstaaten.
- Abschaffung der Residenzpflicht (Achtung: Aufhebung Residenzpflicht ändert wenig wenn Wohnsitzauflagen bleiben!), Abschaffung Lagerpflicht für Erstaufnahme und für Gemeinschaftsunterkünfte: §§ 47 – 49 und 53 AsylVfG; Abschaffung des Flughafenverfahrens.
- Behördenunabhängige Asyl- und Sozialberatung finanzieren, Finanzierung von Rechtshilfe (anwaltl. Vertretung für alle!) im Asylverfahren.
- EU-Außengrenzen/Frontex
- Zugang zum Asylrecht an den EU-Außengrenzen sichern; Seenotrettung sicherstellen.
- Resettlement Programme der Bundesregierung ohne Verpflichtung Privater (Rechtsgrundlagen im AufenthG sind vorhanden!)
- Dublin III
- Freie Wahl des Aufnahmestaates ermöglichen (Änderung Dublin III VO); hilfsweise Selbsteintrittsrecht BAMF nutzen und Rechtsschutz sichern.
- Bildung, BAföG, Berufsanerkennung
- Für alle Menschen unter 25 Jahren Zugang zu Sprachförderung, Kita, Hort, Schulbildung, Schulabschlüssen sichern;
- Inklusion von Migranten an Regelschulen sichern
- Streichung BAföG-Förderungslücken und leistungsrechtliches Ausbildungsverbot aufgrund des Aufenthaltsstatus im SGB II/XII sofort
- Schaffung Landesberufsanerkennungsgesetze
- Rechtsanspruch auf Deutschkurse für alle MigrantInnen sichern, auch für Asylsuchende, Geduldete, Aufenthaltsstatus §§ 22 – 25 AufenthG, Unionsbürger (Integrationskurse ggf. nach AufenthG, i.Ü. Landesrecht)
- Kindergeld, Elterngeld
- Zugang für alle MigrantInnen sichern, auch für Asylsuchende und Geduldete.
- StAG
- Umfassende Erleichterung der Einbürgerung, vollständige Abschaffung der Optionspflicht.
- FreizügG/EU und SGB II/XII – Unionsbürger
- Keine Verschärfungen, Stopp der Missbrauchsdebatten, menschenwürdiges Existenzminimum in jedem Fall sicherstellen.
3. Der Schwarz-Grüne Asylkompromiss
Wortlaut Asylkompromiss
www.fluechtlingsinfo-berlin.de/fr/pdf/Bundesrat_Asylkompromiss_19Sept2014.pdf
Rechtfertigungsschreiben Kretschmann
www.fluechtlingsinfo-berlin.de/fr/pdf/Brief_Kretschmann.pdf
Einschätzung zu den Regelungen des Schwarz-Grünen Asylkompromisses:
Residenzpflicht
Schon nach geltendem Recht ist es möglich, Asylbewerbern und Geduldeten Bewegungsfreiheit landesweit und länderübergreifend zu gewähren, wie etwa in Berlin und Brandenburg der Fall.
Laut „Asylkompromiss“ soll im Anschluss an die Erstaufnahme bundesweit Bewegungsfreiheit gelten. Es bleibt aber bei der bundesweiten Verteilung auf die Bundesländer und der Pflicht zur Wohnsitznahme (sog. „Wohnsitzauflage“) in der im jeweiligen Land zugewiesenen Kommune, ebenso bei der entsprechenden Behördenzuständigkeit.
Eine Residenzpflicht ermöglicht der Kompromiss auch künftig bei Straftätern (eine Höhe der Strafe wird nicht genannt), bei Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz (überflüssig zu erwähnen, weil ebenfalls Straftäter), oder wenn aufenthaltsbeendende Maßnahmen konkret bevorstehen.
Sachleistungen
Auch nach geltendem Recht erhalten Asylbewerber und Geduldete außerhalb der Erstaufnahme in den meisten Bundesländern Bargeld, nur Bayern, Baden-Württemberg und das Saarland gewähren noch Sachleistungen.
Laut „Asylkompromiss“ soll künftig ein „Vorrang für Geldleistungen“ gelten. Hier besteht ggf. die Gefahr politisch gewünscht und begründeter Sachleistungen auch außerhalb der Erstaufnahme.
Arbeitsverbot
Nach geltendem Recht entfällt die Arbeitsmarktprüfung für Asylbewerber und Geduldete nach 48 Monaten. Sie erhalten von Amts wegen ohne Beteiligung der Arbeitsagentur eine Arbeitserlaubnis für Tätigkeiten jeder Art (§ 32 Abs. 3 und 4 BeschV).
Nach dem „Asylkompromiss“ soll die Arbeitsmarktprüfung bereits nach 15 Monaten entfallen. Die Regelung ist jedoch auf drei Jahre befristet, steht also künftig wieder zur Disposition.
Unklar ist zudem, ob die Arbeitsmarktprüfung nach 15 Monaten ganz oder nur teilweise entfallen soll. Zwar kommt es dann nicht mehr darauf an, ob bevorrechtigte (deutsche usw.) Arbeitsuchende für den Job zur Verfügung stehen. Ein bürokratisches Arbeitserlaubnisantragsverfahren zur Prüfung der „Arbeitsbedingungen“ (= angemessene Entlohnung usw., vgl. § 39 Abs. 2 Satz 1 AufenthG letzter Satzteil) könnte unter Beteiligung der Ausländerbehörde und der Arbeitsagentur auch künftig stattfinden: „Eine ggf. erforderliche Vergleichbarkeitsprüfung bleibt vom Wegfall bzw. dem Aussetzen der Vorrangprüfung unberührt.“ An der Bürokratie und der Verfahrensdauer kann dann aber erfahrungsgemäß auch die Arbeitsaufnahme scheitern.
Asylverfahren dauern selten länger als 15 Monate. Es soll voraussichtlich möglich bleiben, im Anschluss an das Asylverfahren geduldeten Flüchtlinge auch nach Jahren noch das Arbeiten zu verbieten. Ein Arbeitsverbot kann nach § 33 BeschV unabhängig von der bisherigen Aufenthaltsdauer verfügt werden, wenn sie nach Auffassung der Behörden aus wirtschaftlichen Gründen eingereist sind, oder ihre Abschiebung durch fehlende Bemühungen um Reisedokumente verhindern.
Zusammenstellung G. Classen 19.09.2014, www.fluechtlingsrat-berlin.de