Herrn Innensenator Michael Neumann und Frau Sozialsenatorin Melanie Leonhard, Vertreter und Vertreterinnen der Hamburger Presse,
Seit dem 17.09.2015 wehren sich mehrere Roma-Familien in der Hamburger Sankt-Michaelis-Kirche gegen ihre Abschiebung. Es ist ihr letztes Mittel, alle rechtlichen Möglichkeiten sind ausgeschöpft, alle Eilanträge abgelehnt. Das Leben in den Abschiebeländern ist für sie ganz offensichtlich keine Option. Dennoch sollen sie in vermeintlich „sichere Herkunftsstaaten“ wie Mazedonien, Serbien und Bosnien abgeschoben werden.
Die offen rassistische Diskriminierung, Ausgrenzung und Vertreibung von Roma im sogenannten „Westbalkan“ wird bislang nicht als Fluchtgrund anerkannt, ja nicht einmal geprüft [1]. Stattdessen wird in diesem Kontext diffamierend von „Wirtschaftsflüchtlingen“ gesprochen, eine Unterscheidung in „richtige und „falsche“ Flüchtlinge vorgenommen. Sehr bedenklich finden wir die Einrichtung von besonderen „Erstaufnahmelagern“ (Angela Merkel) oder gar die Rede von einer „Konzentration“ dieser Menschen (Horst Seehofer, Markus Ulbig).
Sieht man nun, dass es sich bei diesen Geflüchteten vor allem um Roma handelt, dann wird uns schlecht. Roma wurden in ganz Europa seit 600 Jahren nahezu ununterbrochen diskriminiert, entrechtet und verfolgt. Mörderischer Höhepunkt dessen war die Vernichtung von schätzungsweise 500.000 Sinti und Roma in den Konzentrationslagern des nationalsozialistischen Deutschlands. 70 Jahre danach sind die Parallelen zur aktuellen Situation von Roma alarmierend. Sie alle kennen die Berichte der OSZE, von Human Rights Watch, Amnesty International oder dem UNHCR: Für Angehörige der Roma gibt es keine „sicheren Herkunftsländer“. Dies heißt bspw. im Westbalkan konkret: kein gesicherter Zugang zum Wohnungsmarkt, häufig ohne Versorgung mit Strom und fließendem Wasser, Ausschluss vom Arbeitsmarkt, kein Zugang zur Gesundheitsversorgung, extrem erschwerter Zugang zu Bildung, kein Schutz durch Justiz und Polizei, oft sogar behördliche Schikanierung bis hin zu körperlicher Gewalt durch die Polizei [2].
Mitten in Europa existiert ein funktionierendes System der „Apartheid“ (Rudko Kawczynski, Rom und Cinti Union Hamburg), unter dem 12 Millionen Mitbürger und Mitbürgerinnen zu leiden haben. Zusammengenommen ist die europäische Roma-Bevölkerung klar von gruppenspezifischer Verfolgung betroffen. Diese Zustände sind alles andere als „sicher“.
Darüber hinaus ist es fraglich, überhaupt von „Herkunftsländern“ zu sprechen, angesichts der Tatsache, dass viele deutlich mehr als 20 Jahre hier gelebt haben, gar teilweise hier geboren wurden. Deutschland hat aufgrund seiner NS-Geschichte eine besondere Verantwortung gegenüber Roma.
Wir wollen, dass die Bundesrepublik Deutschland Menschen Schutz bietet, die Schutz suchen.
Eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG ist für die Familien im Hamburger Michel das Mindeste. Ihre Verfahren sollen und müssen geprüft werden, wie jedes andere auch. Und dann muss klar sein: Die offen rassistische Diskriminierung, Ausgrenzung und Vertreibung von Roma im sogenannten „Westbalkan“ muss als Fluchtgrund anerkannt werden!
[1] Gutachten, das der aktuellen Verfassungsbeschwerde gegen die Einstufung der Länder Serbien, Mazedonien und
Bosnien-Herzegowina als „sichere Herkunftsländer“ zugrunde liegt:
[2] Wenn Sie sich näher über die Situation von Roma in Serbien und Kosovo informieren wollen, sind die Informations-Broschüren der Kampagne „alle bleiben!“ eine gute Wahl:
Kosovo: http://www.alle-bleiben.info/wp-content/uploads/2014/12/kosovo_web.pdf
Gruppe Gegen Antiromaimus! Dresden Erstunterzeichner_innen:
Gruppe Gegen Antiromaimus! Dresden Erstunterzeichner_innen:
- Bundes Roma Verband e.V.
- Amaro Drom e.V., Bundesverband interkultureller Jugendselbstorganisationen von Roma und nicht-Roma
- Terno Drom e.V., interkulturelle Jugendselbstorganisation von Roma und nicht-Roma in Nordrhein-Westfalen
- Bremer Sinti-Verein e.V. (Verband Deutscher Sinti und Roma – Landesverband Bremen)
- Verband Deutscher Sinti und Roma e.V., Landesverband Schleswig-Holstein
- Roma Center Göttingen e.V.
- Roma Antidiscrimination Network (RAN)
- Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt e.V.
- Verantwortung für Flüchtlinge e.V. Leipzig
- Initiative „Leipzig Korrektiv“
- AKuBiZ e.V. Pirna
- Forschungsgesellschaft Flucht & Migration e.V., Berlin
- Antifaschistische Aktion Erzgebirge
- Medizinische Flüchtlingshilfe Nürnberg
- Rojbin Frauenrat Hamburg
- Politische Radreisen
- iMiR – Institut für MIgrations- und Rassismusforschung e.V., Hamburg
- TKDV-Initiative Frankfurt am Main
- DRESDENpostkolonial
Einzelpersonen:
- Klaudia Bahr
- Esther Bauer, Heidelberg
- Rahel Bauer, Dresden
- Monika Bergen, Berlin und Glückstadt
- Susanne Bücken, Aachen
- Stefanie Busch, Bildende Künstlerin, Dresden
- Merfin Demir, Bundesvorsitzender Amaro Drom e.V. und Vorsitzender TernoDrom
- Brigitte Ebert-Jenssen, Hamburg
- Hans-Dieter Eichhorst, Struvenhütten
- Cornelia Ernst (MdEP), Delegation der LINKEN im Europaparlamen
- Melanie Forker, Dresden
- Anita Friedetzky, Hamburg
- Richard Gauch, Preisträger „Couragiert in Leipzig“ – 2013
- Angelika Gey, M.A. Soziale Arbeit, Aachen
- Hannah Greimel
- Thomas Handrich, Fredersdorf
- Anke Immenroth, Trainerin für Gewaltfreie Kommunikation, Kiel
- Nina Jovanovic, Kiel
- Sandra Korn, Dresden
- Milena Kula, Berlin
- Prof. Dr. Rudolf Leiprecht, Universität Oldenburg
- Tobias Linnemann, Bildungsreferent, Bremen
- Tanja van de Loo, Grafikerin
- Friederike Lorenz, Doktorandin, wiss. Mitarbeiterin, Berlin
- Anja Martin, Dresden
- Jule Nagel, Mitglied des Sächsischen Landtages und aktiv in antirassistischen Initiativen
- Deborah Naumann
- Gudrun Netter, Kronshagen
- Laura Otte, Studentin, Münster
- Dr. med. Eberhard Rumpf, Burg
- Prof. Dr. Albert Scherr, Pädagogische Hochschule Freiburg
- Heino Schomaker, Kiel
- Annika Schulte
- Reinhard Schwandt, Mitglied im Landesbezirksfachgruppenvorstand Versicherungen Hamburg und Nord der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di
- Daniel Seifert
- Jonas Seufert, Dresden
- Stefanie Veith, Bildungswissenschaftlerin, Rostock
- Dirk Vogelskamp, Referent des Komitee für Grundrechte und Demokratie
- Andrea Johanna Vorrink, Wissenschaftlerin, Berlin
- Günther Richard Wagner, Sprecher amnesty international Lauf/Hersbruck
- Jens Wagner, Dresden
- Yvonne Warsitz, Wuppertal
- Eva Weber, Vorstandsmitglied Forschungsgesellschaft Flucht & Migration e.V., Berlin
- Ricarda Wiese, Studierende am Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien, Osnabrück
- Heike Wokon, Buchhalterin, Hamburg
- Anke Woschech, Historikerin, Dresden
- Julia Wurzel, Hannover
- Kathleen Zeidler, Leipzig