Verfassungswidrige Beschlüsse des Bundestags sind skandalös!
Der Bayerische Flüchtlingsrat und Flüchtlingsräte weiterer Bundesländer kritisieren die Abgeordneten des Bundestags für die Zustimmung zu den geplanten Asylrechtsverschärfungen / „Bundesrat muss verfassungswidrige Gesetzesänderungen stoppen“
In dieser Woche peitscht die Bundesregierung das „Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz“ im Eilverfahren durch Bundestag und Bundesrat. Heute hat der Bundestag den Gesetzesentwurf verabschiedet. Damit ist eine weitere Hürde für die zweite massive Asylrechtsverschärfung innerhalb eines Jahres genommen. Der Bayerische Flüchtlingsrat kritisiert, dass die geplanten Gesetzesänderungen nicht zur Lösung der Probleme beitragen. Stattdessen setzen sie einseitig auf Abschreckung und sind in Teilen schlicht verfassungswidrig. „Der Bundestag hat heute beschlossen, die Verfassung zu brechen und den Anspruch auf ein menschenwürdiges Existenzminimum zu demontieren“, erklärt Alexander Thal, Sprecher des Bayerischen Flüchtlingsrats, für die Landesflüchtlingsräte. Am morgigen Freitag wird sich der Bundesrat mit dem Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz befassen. Dabei kommt den Stimmen der Bundesländer mit grüner Beteiligung große Bedeutung zu. Zwar sind die Grünen im Bundestag in der Opposition, über die Bundesländer haben sie jedoch die Möglichkeit, das Gesetz im Bundesrat zu blockieren. „Wir fordern den Bundesrat dazu auf, die Gesetzesverschärfungen zu blockieren! Keine Landesregierung, egal welcher Couleur, sollte sich wissentlich an der Aushöhlung der Grundrechte beteiligen!“, so Thal.
Bei Rückfragen und Interviewwünschen wenden Sie sich bitte an:
Alexander Thal | Bayerischer Flüchtlingsrat | Tel: 0911-99445946 | 0151-50114864
PRO ASYL kritisiert Ausgrenzung und Integrationsverweigerungsgesetz
Appell an den Bundesrat: Dieses Gesetz muss gestoppt werden
PRO ASYL kritisiert das vom Bundestag verabschiedete „Asylbeschleunigungsgesetz“ als Integrationsverweigerungsgesetz. Zum Schaden unserer Gesellschaft werden die Weichen auf Abwehr und Ausgrenzung gestellt. Die Kasernierung von Flüchtlingen in Erstaufnahmeeinrichtungen bis zu sechs Monaten, die Ausdehnung des Arbeitsverbotes und die Ausweitung der Residenzpflicht werden die Unterbringungsproblematik verschärfen und Integration verhindern.
Der Bundestag hat ebenfalls eine Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes beschlossen, nach der Flüchtlinge in den auf die Erstaufnahme folgenden Gemeinschaftsunterkünften nur noch Sachleistungen erhalten können. Ihnen soll das soziokulturelle Existenzminimum nicht als Bargeld ausgezahlt werden. Der Bundestag produziert mehr Bürokratie für die Ausländer- und Sozialbehörden, denn vom soziokulturellen Existenzminimum sind auch Telefonkosten, Lesestoff, Genussmittel etc. umfasst, für deren Verteilung die Behörden zuständig sein werden.
PRO ASYL kritisiert das Gesetzesvorhaben als Programm der Entwürdigung von Menschen und schließt sich der Ansicht des Deutschen Anwaltsvereins an, der von einem offenen Verfassungsbruch ausgeht. Insbesondere die Möglichkeit der Leistungseinschränkungen für Menschen, die ausreisen sollen, ist von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht gedeckt. Das Bundesverfassungsgericht hatte 2012 entschieden: „Auch eine kurze Aufenthaltsdauer oder Aufenthaltsperspektive in Deutschland rechtfertigt es im Übrigen nicht, den Anspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums auf die Sicherung der physischen Existenz zu beschränken.“
Diesen Maßstab missachtend wurde in den Beratungen das Gesetz nochmals verschärft. Geduldete, denen man vorwirft, an ihrer Abschiebung nicht ausreichend mitgewirkt zu haben, sollen nun nicht einmal mehr das menschenwürdige Existenzminium erhalten. Es soll ihnen der Barbetrag („Taschengeld“) und selbst der Anspruch auf Bekleidung gestrichen werden.
Das Gesetzespaket darf nicht ohne eine angemessene öffentliche und parlamentarische Diskussion sang und klanglos verabschiedet werden. Obschon eine breite Mehrheit der zivilgesellschaftlichen Akteure von den Kirchen über die Wohlfahrtsverbände bis zu juristischen Vereinigungen und Menschenrechtsorganisationen das Gesetz ablehnt, haben sich die Bundesländer bisher in den Verhandlungen mit Kritik zurückgehalten, um finanzielle Mittel des Bundes zu erhalten. Aber jedes Asylrechtsgesetz, das vorrangig auf Abschreckung setzt und nur kurzfristige finanzielle Hilfen ermöglicht, wird scheitern.
PRO ASYL appelliert an den Bundesrat, diesem Gesetz in dieser Form die Zustimmung zu verweigern. Es greift eklatant in die Zuständigkeit der Bundesländer ein und will Bundesländern und lokalen Ausländerbehörden untersagen, Abschiebungen anzukündigen. Die Ausdehnung des Verbleibs in den Erstaufnahmeeinrichtungen wird Gewalteskalationen im Winter befördern, mit denen sich dann die Bundesländer und Kommunen auseinandersetzen müssen.
Wer nicht geht, wird ausgehungert:
SPD und Union wollen noch weiter gehende Leistungskürzung als die Bundesregierung
Liebe Kolleg*innen,
der Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen von gestern abend zum AsylbLG, sieht noch weiter gehende Leistungskürzungen vor, als sie im Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgesehen sind.
So sollen nach dem neuen § 1a Abs. 3 AsylbLG – anders als Thomas de Maizière persönlich im Bundestag ausdrücklich gesagt hat! – nun auch Personen mit Duldung einer Leistungskürzung unterhalb das physische Existenzminimum unterliegen, wenn „aus von ihnen selbst zu vertretenden Gründen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können“.
Diese Leistungskürzung geht über die bisherige Sanktionierung weit hinaus (bisher: individuell zu begründende Kürzung des Barbetrags von 143 Euro), da noch nicht einmal das physische Existenzminimum sicher gestellt wird.
Es gibt danach ausdrücklich nur noch Leistungen für Unterkunft, Heizung, Ernährung, Körper- und Gesundheitspflege plus Gesundheitsversorgung nach § 4 AsylbLG. Damit sind ausgeschlossen: Die zum physischen Existenzminimum zählenden Leistungen für Kleidung sowie Gebrauchs- und Verbrauchsgüter des Haushalts (diese dürfen „nur, soweit im Einzelfall besondere Umstände vorliegen“ zusätzlich erbracht werden). Kategorisch ausgeschlossen sind: Leistungen des sozialen Existenzminiumums („notwendiger persönlicher Bedarf“), außerdem die Leistungen des Bildungs- und Teilhabepakets (!) sowie die „unerlässlichen“, „erforderlichen“ oder für Kinder „gebotenen“ Leistungen nach § 6 AsylbLG.
Die Koalitionsfraktionen planen somit einen noch weiter gehenden Verfassungsbruch als die Bundesregierung! Der Masterplan von „Sozial-“ und „Christ-„Demokrat*innen lautet also: Aushungern.
Nebenbei sollen auch die Familienangehörigen (also etwa minderjährige Kinder) der von der Leistungskürzung Betroffenen nur noch das „unabdingbar erforderliche“ erhalten – und zwar unabhängig davon, ob sie in eigener Person ihr Abschiebungshindernis selbst verursachen oder nicht. Die Koalition begründet dies völlig kenntnisfrei damit, dass das bereits geltende Rechtslage sei. Nur: Das ist falsch! Einer Leistungskürzung nach § 1a unterliegen die Familienangehörigen gegenwärtig nur dann, wenn sie in eigener Person ein „Fehlverhalten“ begründen. Die Gesetzesbegründung zum AsylbLG vom 29.8.2014 hat dies sogar ausdrücklich so formuliert:
Auch das Bundessozialgericht hat in einem Vergleich vom 28.5.2015 bereits ausdrücklich darauf hingewiesen, „dass eine Absenkung des sog „Taschengelds“ bei verfassungskonformer Auslegung des § 1a AsylbLG nicht auf ein Fehlverhalten der Eltern gestützt werden dürfe“ (B 7 AY 1/14 R)
Ich hätte es nicht für möglich gehalten: Aber schlimmer geht immer! Mal sehen, wie viele rot-grün-regierte Länder am Freitag dem offenen Verfassungsbruch zustimmen werden. Als Bettlektüre hier noch einmal ein Auszug aus dem Bundesverfassungsgerichts-Urteil, das für SPD, Union, Bundesregierung und viele Landesregierungen offensichtlich nicht viel mehr bedeutet als ein Kalenderspruch:
„Auch eine kurze Aufenthaltsdauer oder Aufenthaltsperspektive in Deutschland rechtfertigt es im Übrigen nicht, den Anspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums auf die Sicherung der physischen Existenz zu beschränken. Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG verlangt, dass das Existenzminimum in jedem Fall und zu jeder Zeit sichergestellt sein muss. Art. 1 Abs. 1 GG garantiert ein menschenwürdiges Existenzminimum, das durch im Sozialstaat des Art. 20 Abs. 1 GG auszugestaltende Leistungen zu sichern ist, als einheitliches, das physische und soziokulturelle Minimum umfassendes Grundrecht. (…). Die einheitlich zu verstehende menschenwürdige Existenz muss daher ab Beginn des Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland realisiert werden.“ (…) „Migrationspolitische Erwägungen, die Leistungen an Asylbewerber und Flüchtlinge niedrig zu halten, um Anreize für Wanderungsbewegungen durch ein im internationalen Vergleich eventuell hohes Leistungsniveau zu vermeiden, können von vornherein kein Absenken des Leistungsstandards unter das physische und soziokulturelle Existenzminimum rechtfertigen. Die in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren.“
Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 18. Juli 2012; 1 BvL 10/10
Claudius Voigt Projekt Q – Büro für Qualifizierung der Flüchtlings- und Migrationsberatung Gemeinnützige Gesellschaft zur Unterstützung Asylsuchender e.V. (GGUA Flüchtlingshilfe) Südstraße 46 48153 Münster