Undurchsichtig, wie so vieles derzeit
Zahlen Oktober / Sicherheitslage Afghanistan / 2015_Fluchtumlage | Liebe Interessierte, so klammheimlich, wie die Aussetzung der Dublin-Verfahren bei syrischen Asylsuchenden intern beschlossen worden war, so unbemerkt wurde diese Maßnahme vom BMI/BAMF wieder zurückgenommen – ein weiterer Teil des umfassenden roll backs in der aktuellen Flüchtlingspolitik.
Ach Dublin, möchte man laut ausrufen. Nun kommt es also wieder zu den unsäglichen Prüfverfahren, die offenkundig Schutzbedürftige in Unsicherheit und Ungewissheit stürzen oder sogar mit Gewalt in Europa hin- und herschieben – zur Durchsetzung eines unfairen und längst gescheiterten Zuständigkeitsprinzips.
Wie es der Zufall so will, hatte Ulla Jelpke gerade erst am letzten Freitag der Bundesregierung eine schriftliche Frage dazu gestellt, ob die Dublin-Prüfungen bei Syrien-Flüchtlingen wieder aufgenommen worden seien – uns war aufgefallen, dass in der Beantwortung einer Frage eines CDU-Abgeordneten hierzu in einem Satz die Vergangenheitsform verwandt worden war, ohne dass dies näher erläutert worden wäre. Allerdings erfolgte diese Antwort aus dem BMI bereits am 9. Oktober 2015, nach gestrigen Auskünften wurden Dublin-Prüfungen ab dem 21. Oktober wieder aufgenommen. Undurchsichtig, wie so vieles derzeit.
Zur Erinnerung: Im gesamten Jahr 2014 wurden genau 102 syrische Flüchtlinge nach den Dublin-Regelungen in andere EU-Mitgliedstaaten überstellt – angesichts von 5.307 Übernahmeersuchen bei syrischen Asylsuchenden ergibt dies eine „Erfolgsquote“ von unter 2%. Das Ziel einer Beschleunigung der Asylverfahren – und damit eine zentrale Stellschraube zur Bewältigung der aktuellen Probleme! – ist vor diesem Hintergrund und angesichts der Pläne zur wieder individuellen Asylprüfung und Anhörung bei syrischen Flüchtlingen zur Erteilung subsidiärer Schutzstatus faktisch ad acta gelegt. Die irrationale Politik der Abschreckung gegenüber Flüchtlingen ist in den letzten Tagen wirklich mit Macht zurückgekehrt.
Der Bundestag wird sich heute auf Antrag der Opposition mit den Plänen der Union zur Beschränkung des Familiennachzugs zu syrischen Flüchtlingen befassen: Zunächst im Innenausschuss und dann in einer Aktuellen Stunde im Plenum ab 15:50 Uhr (derzeitige Planung, livestream: bundestag.de). Die Änderungen im Dublin-Verfahren werden sicherlich eine Rolle spielen.
Zuvor gibt es eine Debatte zur Einsetzung des 2. Untersuchungsausschusses zum NSU-Komplex (ab 15:05 Uhr).
Die Parteivorsitzenden der LINKEN, Katja Kipping und Bernd Riexinger, haben sich in einem Grundsatzpapier für das „free choice“-Modell als Alternative zum derzeitigen Dublin-Regime eingesetzt. Flüchtlinge sollen sich ihr Zufluchtsland in der EU aussuchen können, um soziale und familiäre Netzwerke positiv nutzen zu können. Statt der Menschen sollen die Kosten für die Flüchtlingsaufnahme gerecht verteilt werden! In Anlehnung an die linke Forderung nach einer Ausbildungsplatzumlage (Betriebe, die nicht ausbilden, müssen sich finanziell am Ausbildungssystem beteiligen) fordern sie eine „Flucht-Umlage“ als Teil einer solidarischen europäischen Lösung der derzeitigen Asylkrise in Europa. Das wäre ein finanzielles Anreizsystem, das Abschottungsmaßnahmen und eine Politik der Abschreckung wie z.B. in Ungarn die Grundlage entziehen würde – und im Gegenzug ein großer Anreiz für diese Länder zur Schaffung guter und offener Aufnahmebedingungen für Flüchtlinge.
SPIEGEL-online berichtete:
Das Papier findet sich im Anhang, aber auch hier:
Die EASY-Zahlen werden vom BMI mittlerweile selbst öffentlich gemacht, allerdings werden dabei nur die fünf wichtigsten Herkunftsländer differenziert angegeben. Ulla Jelpke fragte differenzierter nach den Oktober-Zahlen und insbesondere nach dem Anteil von Flüchtlingen aus den als „sicher“ eingestuften Westbalkan-Ländern – und siehe da: Im Oktober kamen gerade einmal noch 2,69% der Asylsuchenden aus diesen Länder (im Anhang). Auch in absoluten Zahlen gab es einen Rückgang gegenüber dem Vormonat um beinahe die Hälfte, auf insgesamt nur noch 4.882 neu registrierte Flüchtlinge aus den Westbalkanländern.
Ulla Jelpke kommentierte die Zahlen: „Dass diese geringe Zahl von Westbalkanflüchtlingen den aktuellen Koalitionsstreit befeuert haben soll, ist schier unglaublich. Oder besser gesagt, es ist nicht wahr: Die Funktion des Streits bestand offenkundig darin, weitere Verschärfungen des Asylrechts zu rechtfertigen, die sachlich überhaupt nicht begründet sind. Denn die Registrierungszahlen zeigen ganz deutlich, dass der ganz überwiegende Teil der Asylsuchenden schutzbedürftig ist. Nach ihnen muss die Regierung ihre Politik ausrichten. Es muss in der Flüchtlingspolitik jetzt vor allem um wirksamen Schutz, angemessene Unterbringung und Versorgung und schnelle Integration gehen, und nicht um immer weitere Asylrechtsverschärfungen und Abschiebungen.“
Die Antwort auf eine mündliche Frage von Ulla Jelpke zu den unsäglichen Plänen der Bundesregierung / Koalition (wird leider von der SPD unterstützt) zu verstärkten Abschiebungen nach Afghanistan und gegenteilige Äußerungen des zuständigen afghanischen Flüchtlingsministers füge ich ebenfalls zur Kenntnis bei. Sie ist selbsterklärend.
Noch einmal möchte ich auf die von der LINKEN veranstalteten FlüchtlingshelferInnen- und Aktiven-Konferenz in Berlin am 28.11.2015 hinweisen.
Es gab bereits viele Anmeldungen und positive Rückmeldungen. Vielen Dank! Noch sind weitere Anmeldungen zur kostenlosen Teilnahme möglich, hier:
http://linksfraktion.de/termine/konferenz-refugees-welcome
Ich hatte vergessen auf die Möglichkeit hinzuweisen, dass zwei der vielen workshops offen sind und thematisch selbst ausgefüllt und organisiert werden können („bar camps“). Eigene Themenvorschläge können bereits im Vorfeld, oder auch noch vor Ort, eingebracht werden.
Genug Stoff für die politische Diskussion gibt es ja…
Bis dann und beste Grüße
Thomas Hohlfeld
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Dr. Thomas Hohlfeld
Referent für Migration und Integration
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