Es verbietet sich Flüchtlingskinder abzuschieben
Donnerstag den 17.12.2015 – 125 Flüchtlinge wurden gestern morgen ohne vorherige Ankündigung in Niedersachsen festgenommen und in den Kosovo abgeschoben.
Eine solche Massenabschiebung ist von der Landesregierung mehrfach angekündigt worden. Für Überraschung und Empörung sorgt allerdings die Tatsache, dass sich unter den Betroffenen viele langjährig geduldete Flüchtlinge befanden – also solche Flüchtlinge, die die Innenminister Pistorius mehrfach und ausdrücklich eine vorsichtige und menschliche Praxis versprochen hat.
Der nachfolgende Auszug aus einem Bericht der Hannoverschen Zeitung spricht für sich: Betroffen waren auch Kinder und Jugendliche, die bereits Jahrzehntelang in Niedersachsen lebten oder zur Schule gingen, und die den Kosovo nur aus den Berichten ihrer Eltern kennen. Der Flüchtlingsrat hat diese Massenabschiebung scharf kritisiert: Eine Landesregierung, die vor einem Jahr noch öffentlich erklärt hat, mehr Menschlichkeit in der Ausländer- und Flüchtlingspolitik an den Tag zu legen, hat mit Flüchtlingen anders umzugehen. Auch wenn eine Ankündigung des Abschiebungstermins inzwischen gesetzlich untersagt ist, hätte die Möglichkeit bestanden, in entsprechenden Fällen zumindest eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, und den Flüchtlingen (wenn überhaupt) vorher und ohne Terminansage anzukündigen, dass eine Abschiebung demnächst eingeleitet wird, um ihnen so die Möglichkeit einzuräumen, sich vorzubereiten oder ggfs. rechtliche Schritte zur Überprüfung der Abschiebungen einzuleiten.
Nach Auffassung des Flüchtlingsrat Niedersachsen verbietet es sich grundsätzlich, Flüchtlingskinder abzuschieben, die hier bei uns aufgewachsen sind und den Kosovo nur vom Hörensagen kennen. Viele der betroffenen Kinder und Jugendlichen sind in unserer Gesellschaft groß geworden. Sie sind deutsch sozialisiert und sprechen kein serbokroatisch. Es erscheint überaus fragwürdig, ihnen ein Aufenthaltsrecht mit der Begründung zu verweigern, sie hätten einige Tage unentschuldigt in der Schule gefehlt, wie dies kürzlich das Verwaltungsgericht Göttingen entschieden hat. Ihre Hoffnungen und Wünsche werden diese Jugendlichen nach einer Abschiebung vergessen müssen. Was wird aus einem 13-jährigen Roma-Jungen, der heute in ein Roma-Ghetto abgeschoben wird, oft genug in Wellblechbaracken ohne Wasser und Strom?
UNICEF-Studien zufolge haben diese Kinder kaum eine Chance, die Schule zu besuchen und einen Beruf zu erlernen. Stattdessen werden sie gezwungen sein, ihren Lebensunterhalt mit Metall- oder Papiersammeln zu verdienen. Hinzu kommt die alltägliche Diskriminierung und Ausgrenzung von Roma. Ist es ein Ausdruck von „Realitätssinn“, diese Kinder in ein Land abzuschieben, das sie nicht kennen und in dem sie offensichtlich untergehen werden? Der EGMR postuliert, dass der Artikel 8 der EMRK diejenigen schütze, die in Deutschland verwurzelt sind und keine Bezüge zu ihrem angeblichen Herkunftsland haben. Das OVG Bremen leitet daraus schon für Jugendliche ab 14 Jahren Ansprüche ab – im Unterschied zum nds. OVG Lüneburg. Die Frage ist natürlich, ab welchem Alter Kinder diese Rechte in Anspruch nehmen können – als eigenständige Rechtspersonen. Aber natürlich handelt es sich hierbei um zentrale menschenrechtliche Fragestellungen. Die Antwort, die das Land Niedersachsen mit der gestrigen Massenabschiebung gegeben hat, ist erschütternd kaltschnäuzig.
Kai Weber