Lassen wir es nicht zu, dass ein legitimer Protest von Geflüchteten in der Landeserstaufnahmeeinrichtung Ellwangen weiter kriminalisiert wird.
Flyer | Polizeieinsatz in Ellwangen am 3 . Mai 2018 stellte Grund- und Menschenrechte in Frage
Geflüchtete klagen gegen ihre Strafbefehle * Prozess am Donnerstag den 14. März 2019 * 9 und 14 Uhr * Amtsgericht Ellwangen Mahnwache 11 Uhr – 18 Uhr und Kundgebung ab 15.30 Uhr, Am Fuchseck
Protest am 30.April 2018 und Polizeieinsatz am 3. Mai 2018 | Am 30. April 2018 wollte die Polizei um 2:30 Uhr einen Geflüchteten aus der Erstaufnahmeeinrichtung (EA) Ellwangen nach Italien abschieben. Von dem Lärm wachten viele in der Einrichtung auf. Der Betroffene in Handschellen wollte nicht in das Polizeiauto einsteigen. Neugierig kamen immer mehr Menschen aus den Gebäuden. Anfänglich waren es etwa 30 bis 40 Personen, die mit der Polizei diskutierten und sich mit dem Betroffenen solidarisierten. Als immer mehr Bewohner*innen dazu kamen, hat die Polizei die Abschiebeaktion abgebrochen. Der spontane Protest richtete sich gegen das Dublin-Abkommen. Ein Abkommen, das erlaubt, Menschen wie Stückgut in Europa hin und her zu schieben und diese oft in Elend, Obdachlosigkeit und Rechtlosigkeit zurücklässt. Italien verstößt seit Jahren und systematisch gegen die Internationalen und Europäischen Menschenrechtskonventionen, indem es Geflüchtete zwingt auf der Straße zu leben, ihnen menschenwürdige Mindeststandards der Grundversorgung verweigert und sie in rechtlosen Ausbeutungsverhältnissen in seiner Landwirtschaft versklavt. Deutsche Gerichte haben Abschiebungen nach Italien deswegen schon vielfach untersagt (s. z.B. hier: „Rechtswidrige Abschiebungen – Italien ist unzumutbar“ http://www.taz.de/!5445496/). Das Dublin-Abkommen ist insgesamt untauglich um dem international verankerten Grundrecht auf Asyl gerecht zu werden. 2018 wurden fast so viele Menschen abgeschoben, wie Deutschland selbst wieder zurücknehmen musste. Welch ein Irrsinn! Als Antwort auf den Protest fand am 3. Mai 2018 eine politisch motivierte, kriminalisierende und brutale Polizeiaktion mit mehr als 500 Polizist*innen in der Landeserstaufnahmeeinrichtung statt. Es kam zu Zimmerbetretungen und -durchsuchungen, obwohl kein richterlicher Beschluss vorlag. Der ist jedoch zwingend erforderlich. Obwohl keine der Türen der LEA verschlossen werden konnte und durfte, wurden sämtliche Türen durch die Polizeibeamten eingetreten und zerstört. Als Grund der Polizeiaktion wurden ‚Personenfeststellungen“ angegeben. Grünes Licht für den Polizeieinsatz gab das Regierungspräsidium Stuttgart. Wie eine Recherche der Tageszeitung „taz“ vom 3.5.18 belegt, waren die polizeilichen Maßnahmen unangemessen, überzogen und von einer bewusst kriminalisierenden Berichterstattung seitens der Polizei begleitet worden: „Was geschah in Ellwangen“ http://www.taz.de/!5500584/
Fragwürdige Strafbefehle – Durchsuchung „um die Zimmerbelegung festzustellen.“ | Der Polizeieinsatz vom 3. Mai 2018 selbst, war Auslöser von mehr als 25 Strafverfahren. Viele erhielten Strafbefehle. Aus Angst und Unkenntnis wurden Strafbefehle akzeptiert, hunderte Euro bezahlt, Betroffene erhielten belastende Tagessätze. Dies obwohl sämtliche Strafbefehle fragwürdig begründet sind. Einmal wird als Grund für den Polizeieinsatz „die Gewährleistung des ordnungsgemäßen Betriebs in der LEA“ genannt, dann die „polizeiliche Personenkontrolle“ und dann wieder, dass „die aktuelle Zimmerbelegung festgestellt“ werden sollte. Alles Begrifflichkeiten, die es auch der Polizei nicht erlauben, ohne richterlichen Durchsuchungsbeschluss Zimmer von Geflüchteten zu betreten oder zu durchsuchen.
Strafverfahren vor dem Amtsgericht Ellwangen / Kurzzeitige Verhaftung nach 9 Monaten | Insgesamt kam es nach unseren Kenntnissen bislang zu vier Strafverfahren vor dem Amtsgericht Ellwangen. Ein Geflüchteter, der bereits mehr als drei Monate in Untersuchungshaft war, wurde von dem Vorwurf des tätlichen Angriffs gegen Polizeibeamte freigesprochen. Der Haftbefehl wurde aufgehoben. Er bekam keine Haftentschädigung und bezahlt noch heute mehr als 1.000 € für die Gerichtskosten. Ein weiteres Verfahren mit gleichem Sachverhalt wurde eingestellt. Der Geflüchtete hatte gegen den Strafbefehl geklagt. Ein dritter Geflüchteter wurde zu 6 Monaten Gefängnis ohne Bewährung verurteilt. Hier hat das Gericht ein Exempel statuiert. Der Betroffene habe bei einem Gerangel einem Polizisten zwei- drei mal gegen den Helm geschlagen, war die Begründung für die lange Haft. Alle drei Personen sprechen neben ihrer Muttersprache nur französisch. Sie konnten den Polizeieinsatz, der in ihrem Zimmer um 5:30 Uhr morgens stattfand, nicht einordnen. Weil sie nichts verstanden haben, gerieten sie in Panik. Und so kam es bei einem ähnlichen Sachverhalt zu drei unterschiedlichen Urteilen. Im Zusammenhang mit der Polizeirazzia am 3. Mai 2018, klagen zwei weitere Bewohner gegen die ihnen zugestellten Strafbefehle. Die Prozesse werden am 14. März 2019 stattfinden. Vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart steht ebenfalls noch ein Verfahren aus. Ein Geflüchteter klagt gegen den Polizeieinsatz vom 3. Mai 2018. Neun Monate nach dem Protest in Ellwangen, wurde am 30. Januar 2019 ein Familienvater, der in der Einrichtung lebt, zur Polizeistation der Erstaufnahmeeinrichtung gebracht, dort einen Tag festgehalten und dann dem Haftrichter vorgeführt. Das Amtsgericht Ellwangen erließ einen Haftbefehl wegen „Landfriedensbruch und Gefangenenbefreiung“. Zwei Wochen später, musste der Betroffene nach einer Haftbeschwerde wieder freigelassen werden.
Auch in Landeserstaufnahmeeinrichtungen gelten Grund- und Menschenrechte | Landeserstaufnahmeeinrichtungen sind politische Institutionen, Lager, in denen zahlreiche eingeschränkte Rechte für Geflüchtete wirken. Geflüchtete werden zu streng kontrollierten und überwachten Personen, zu Strichcodes, zu Nummern. Der Tagesablauf ist reglementiert. Wer zu spät zur Essensausgabe kommt, bekommt kein Essen. Durch sogenannte gemeinnützige Arbeit werden für 80 Cent/Stunde Menschen zur ‚Arbeit‘, die der Aufrechterhaltung der Einrichtung dient, gezwungen. Wer sich weigert wird sanktioniert. Einschränkungen der persönlichen Freiheit und des Selbstbestimmungsrechts finden täglich statt. Menschen werden verwaltet. Dazu braucht es Hausmeister, Securities, eine Betreiberfirma, eine Verwaltung, Sozialarbeiter*innen, eine Essensfirma, die Polizei und weitere mehr. Alles in allem sind Lager ein perfides Konstrukt der Isolation und Überwachung unter einem demokratischen Deckmantel. Und genau da wo die persönlich Freiheit und die Selbstbestimmung angegriffen wird, etabliert sich ein Verwal-tungsalltag, bei dem auch Grund- und Menschenrechte für Geflüchtete latent immer mehr unterlaufen werden. Und so ist es kein Zufall, dass sich in den EA‘s eine Eigendynamik entwickelt in der dann Polizeiaktionen, wie die am 3. Mai 2018, stattfinden können.
Auch die Privat- und Intimsphäre von Geflüchteten sind vom Grundgesetz geschützt | Obwohl die Zimmer in denen Geflüchtete leben, nach Artikel 13 GG „Unverletzlichkeit der Wohnung“ geschützt ist, wurde am 3. Mai 2018 von mehr 500 Polizeibeamte gegen dieses Grundrecht verstoßen. Die daraus entwickelten Rangeleien, bei denen 11 Bewohner verletzt wurden, werden den Bewohnern als Widerstand gegen Polizeibeamte oder tätlichem Angriff ausgelegt. Wenn Geflüchtete gezwungen werden in Massenlagern zu leben, sind Grund- und Menschenrechte nicht außer Kraft gesetzt. Auch nicht durch Hausordnungen oder Betreiberverträge. Neben dem Recht auf Meinungs- und Informationsfreiheit steht Geflüchteten wie jedem anderen Bevölkerungsteil auch das Versammlungs- und Demonstrationsrecht zu. Unter diesem Schutz stand auch der sehr spontane Protest am 30. April 2018.
Ellwangen ist zum Symbol für unseren Protest geworden. | Wir dürfen nicht zulassen, dass durch staatliche Stellen, einer politischen Staatsanwaltschaft, Parteien, einer rassistischen Ellwangen-Hysterie oder durch eine undifferenzierte Presseberichterstattung, die Rechte der Geflüchteten noch weiter zu ihrem Nachteil verschoben werden. Es geht hier grundsätzlich um die Verteidigung von Grund- und Menschen-rechte. Gesetze wie das „Geordnete Rückkehr-Gesetz“ dürfen nicht in Kraft treten. Die Angriffe auf die ‚Unverletzlichkeit der Wohnung‘ müssen mit aller Deutlichkeit verurteilt werden. Sämtliche Verfahren, die im Zusammenhang mit dem Polizeieinsatz in Ellwangen stehen, müssen sofort eingestellt werden.Kommt am Donnerstag den 14. März 2019 zur Mahnwache, zu den beiden Prozessen und zur Kundgebung nach Ellwangen.Ob Ellwangen, Donauwörth, Donaueschingen oder andere EA‘s, diese Zentren dürfen keine Einrichtungen der Rechtslosigkeit sein. Grund- und Menschenrechte gelten auch für Menschen die darin leben müssen.
- refugees4refugees Stuttgart refugees4refugees@gmx.de Kontakt: Tel. 0176 278 73832
- Spendenkonto:Flüchtlinge für Flüchtlinge e.V. | GLS Bank | IBAN: DE80 4306 0967 7033 0742 00 | BIC: BIC: GENODEM1GLS