Land hält an rechtswidriger Hausordnung in Erstaufnahmeeinrichtungen für Geflüchtete fest
Pressemitteilung | Seit dem 1. Januar 2020 gelten in den baden-württembergischen Erstaufnahmeeinrichtungen sowie im Ankunftszentrum Heidelberg Hausordnungen mit fast gleichem Wortlaut. Daran gibt es Kritik. Die Hausordnung sollte vor allem Rechte der Bewohner*innen nennen. Das ist nicht der Fall. Zu diesen Feststellungen kommt ein Rechtsgutachten, das Aktion Bleiberecht Freiburg in Auftrag gegeben hat. Laut dem Gutachten werden intensive, rechtswidrige Eingriffe in die Grundrechte der Bewohner*innen erlaubt. Dabei geht es um die allgemeine Handlungsfreiheit, Unverletzlichkeit der Wohnung/Zimmer und um das allgemeine Persönlichkeitsrecht.
Dem Innenministerium, dem Regierungspräsidium Freiburg und der Stadt Freiburg liegt das Gutachten seit Monaten vor. Zahlreiche Landtagsabgeordnete, Gemeinderäte, Wohlfahrtsverbände sowie das Deutsche Institut für Menschenrechte wurden informiert und um Stellungnahmen gebeten.
Die Ombudsperson für die Flüchtlingserstaufnahme, Klaus Danner, ist persönlich der festen Überzeugung, dass das Handeln in den Erstaufnahmeeinrichtungen „auf Grundlage unserer Rechtsordnung und der geltenden Gesetze erfolgt“ und sieht deswegen keinen Anlass, den Vorwürfen nachzugehen. Christoph Kleinschmidt, verantwortlich beim Innenministerium Baden Württemberg, weist in einer Stellungnahme jegliche Verantwortung für die benannten Missstände von sich: „Die von Ihnen erhobenen Forderungen weisen wir zurück“. Zudem wird das Gutachten an sich disqualifiziert, indem es nicht den „Anforderungen juristischer Arbeitsweise bei grundrechtlichen Fragestellungen“ entspräche. Die Gutachterinnen halten diese Bewertung in einer Antwort für „befremdlich“ und meinen, dass damit „die inhaltlichen Feststellungen des Gutachtens delegitimiert“ werden sollen.
Damit ist klar: Das Innenministerium will sich nicht bewegen. Das für Beschwerden zuständige Ombudswesen verweigert eine Auseinandersetzung, Landtagsabgeordnete melden sich nicht zurück und die Landes-SPD hält die „Hausordnungen nicht für rechts- oder verfassungswidrig“. Das politisch-parlamentarische Baden-Württemberg erstarrt offensichtlich in ordnungspolitischen Ressentiments gegen Geflüchtete und will ohne unabhängige Überprüfung der Vorwürfe an der rechtswidrigen Praxis festhalten. Mit dieser Einstellung wurden im Mai 2018 über 500 Polizeibeamte in die Erstaufnahmeeinrichtung Ellwangen beordert und unzählige Zimmer ohne richterlichen Beschluss durchsucht. Das Amtsgericht Ellwangen hat bereits erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Einsatzes geäußert. Diese Sichtweise wird von einem Urteil des OVG Hamburg bestätigt, in dem Zimmer in Unterkünften als Wohnungen nach Art. 13 GG anerkannt werden. Am 18. Februar 2021 wird über die Rechtmäßigkeit des Einsatzes beim Verwaltungsgericht Stuttgart verhandelt. Von dieser Entscheidung ist auch die gültige Hausordnung betroffen.
Neben dem Republikanischen Anwaltsverein unterstützt auch die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) das Anliegen, die Hausordnung auf seine rechtliche Substanz überprüfen zu lassen. Sechs Geflüchtete haben beim Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg eine Normenkontrollklage gegen die Hausordnung eingegeben. Einzelne Klagen vor den Verwaltungsgerichten sind in Vorbereitung. Der PARITÄTISCHE Baden-Württemberg „thematisiert die höchst problematische Unterbringung von Geflüchteten“ und unterstützt „das Anliegen und die Einschätzung des Gutachtens uneingeschränkt.“ Dazu möchte der PARITÄTISCHE ebenfalls eine rechtliche Klärung und will die Verbände der LIGA der freien Wohlfahrtspflege darauf ansprechen, um weitere Einzelfälle vor Gericht zu bringen. Jahrelang wurden die Grundrechte von Geflüchteten in Sammelunterkünften nur von sehr wenigen Gruppen thematisiert. Mittlerweile beschäftigten sich auch Migration- und Rechtswissenschaften, Anwält*innen, Gerichte und Wohlfahrtsverbände damit.
„Es ist schon erstaunlich, mit welcher Hartnäckigkeit sich die Verantwortlichen auf fadenscheinige Argumente berufen, anstatt das Rechtsgutachten unabhängig prüfen zu lassen. So wird unter anderem das Besuchsverbot zum „Schutz“ der Bewohner*innen aufrechterhalten, ohne, dass deren Meinung nachgefragt oder deren Grundrechte angemessen Berücksichtigung finden. Die behördliche Ignoranz gepaart mit der rechtlich schwachen Position der Geflüchteten führt zu einem Fortbestehen rechtswidriger Praktiken. So haben regelmäßige Zimmerkontrollen, Taschenkontrollen oder das Verbot, sich innerhalb der Einrichtung politisch zu betätigen, über Jahre Bestand. Das ist ein Skandal“, so Ben Bubeck, einer der Sprecher der Aktion Bleiberecht Freiburg.
Während sich das politisch-parlamentarische Baden-Württemberg einer fundierten Auseinandersetzung weitgehend entzieht, wird in Freiburg im April 2021 über die Fortführung der Erstaufnahmeeinrichtung entschieden. Damit entscheidet der Freiburger Gemeinderat über die zukünftige Freiburger Asylpolitik, da sich die Stadt mit der Einrichtung der Pflicht entledigt, weitere Geflüchtete dezentral aufzunehmen.
Für Rückfragen stehen wir unter folgender Mail zur Verfügung: info@aktionbleiberecht.de
Die genannten Schriftwechsel und Stellungnahmen finden sie online unter: www.grundrechte-am-eingang-abgeben.de
Aktion Bleiberecht/ Lea Watch
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79098 Freiburg
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