Unklarheit wegen Runden Tisch „Abschiebehaft“
„Unabhängige Sozial- und Verfahrensberatung“ in der Abschiebehaft Pforzheim? Die Abschiebehaft in Pforzheim wird um 29 Ausreisegewahrsamsplätze erweitert.
Seit bald drei Jahren liegt dem Stuttgarter Landtag eine Eingabe zum Thema Abschiebehaft zur Entscheidung vor. Grund der Eingabe waren polizeiliche Übergriffe im Mai 2019 während einer Kundgebung vor dem Abschiebegefängnis Pforzheim. Die Petition wurde später ergänzt. Zum Thema liegen dem Ausschuss weitere Petitionen vor. Von den Petenten wurde die Schließung der Abschiebehaft gefordert.
Etwa zwei Jahre nach der Eingabe der Petition kam es kurz vor den Wahlen in Baden-Württemberg zu einer Online-Anhörung im Petitionsausschuss. Dort war die Rede von der Einrichtung eines Runden Tisches „Abschiebehaft“, dass Ehrenamtliche freien Zutritt zur Abschiebehaft bekommen und dass eine unabhängige Beratung in der Abschiebehaft stattfinden kann. Ebenfalls war ein vor Ort Termin im Abschiebegefängnis im Gespräch. Weiterhin gab es Vorschläge, dass das Thema Abschiebehaft im Innen-, Sozial- und Integrationsausschuss behandelt werden könnte.
Im Koalitionsvertrag „Jetzt für morgen“ von Bündnis 90/DIE GRÜNEN und CDU wurde der Runde Tisch „Abschiebehaft“ und den „Aufbau“ „ehrenamtlicher Strukturen“ in der Abschiebehaft aufgenommen. 8 Monate nach dem Koalitionsvertrag gibt es gegenüber den Petenten aus Stuttgart keine Nachrichten. Aus Landtags-Drucksachen ist zu entnehmen, dass der Runde Tisch „Abschiebehaft“ bei der Bürgerbeauftragten Beate Böhlen angesiedelt werden wird. Damit ist allerdings der „Ständige Ausschuss“ nicht zufrieden und stellt fest, dass das ‚Ministerium der Justiz und für Migration‘ den Runden Tisch nicht in „seiner Zuständigkeit haben wolle“. (Quelle: Drucksache 17/1261 S. 11) Für den Aufbau von „ehrenamtliche Strukturen“ bedarf es „einer sorgfältigen Prüfung und Vorbereitung in Abstimmung mit dem Regierungspräsidium Karlsruhe“. Nach Informationen des Ständigen Ausschuss wird derzeit ausgelotet „unter welchen Rahmenbedingungen die externe Sozial- und Verfahrensbetreuung, die Seelsorge und der Besuch von Ehrenamtlichen zukünftig erfolgen könne.“
Mehr ist momentan nicht in Erfahrung zu bringen. Seit drei Jahren schiebt der Petitionsausschuss das Thema vor sich her. Die Schließung der Abschiebehaft ist mit den Parteien nicht verhandelbar.
Weitere Informationen können der Chronik entnommen werden:
11.05.2019 – Aktion vor dem Gefängnis | Am 11. Mai 2019 wurde vor dem Abschiebegefängnis in Pforzheim während den bundesweiten Aktionstagen „100 Jahre Abschiebehaft sind genug“ demonstriert. Ein Inhaftierter sprach per Telefon über den Lautsprecher zur Kundgebung. Infolgedessen kam es zu einem massiven Polizeieinsatz in der Haftanstalt. Inhaftierte berichteten von den Übergriffen.
27.05.2019 – Eingabe einer Petition | Am 27. Mai 2019 wurde beim Petitionsausschuss des Stuttgarter Landtages von 29 Gruppen/Organisationen und 841 Einzelpersonen eine Petition zur Aufklärung der Gewalt in der Abschiebehaft Pforzheim eingegeben. Gefordert wurde eine sofortige Untersuchung der polizeilichen Übergriffe, der nachfolgenden Sanktionen gegen inhaftierte Geflüchtete, eine unabhängige Anhörung und die Aussetzung der Abschiebungen von Betroffenen, die zur Klärung der Vorfälle beitragen können. Später wurde die Petition durch die Punkte Dublin-Gefangene, Traumatisierung/besondere Schutzbedürftigkeit, Unzulässigkeit der Haft, Telefon/Internetanschluss und Taschengeld ergänzt.
11.03.2021 – Anhörung im Ausschuss | Monate/Jahre sollten vergehen bis vom Petitionsausschuss eine erste Reaktion kam. Am 11. März 2021, also bald 2 Jahre nach der Eingabe der Petition kam es zu einer Online-Anhörung des Petitions-Ausschusses an der Abgeordnete von DIE GRÜNEN, CDU, FDP und SPD sowie parlamentarische Berater*innen teilnahmen.
Im Wesentlichen konnten die Petenten in Vertretung von Personen aus dem AntiRA-Netzwerk, Flüchtlingsrat Baden-Württemberg und Refugees4Refugees ihre inhaltlichen Standpunkte zur Abschiebehaft in Pforzheim vortragen. Gleichfalls hat auch das Innenministerium in Person von Frau Graf (CDU) Stellung genommen, die in allen Punkten die Praxis der Abschiebehaft verteidigte.
Von Abgeordneten Kenner (SPD) wurde der Vorschlag eingebracht, dass die Abschiebehaft auch Thema beim Innen-, wie auch beim Sozial- und Integrationsausschuss sein kann. Von den Abgeordneten der GRÜNEN war von einem Runden Tisch die Rede.
9 Monate nach der Anhörung
Seit der Anhörung im März 2021 ist 9 Monate vergangen. Was also ist seit der Anhörung geschehen? Da wir selbst vom Petitionsausschuss nicht informiert werden, haben wir selbst recherchiert.
08.05.2021 – Der Koalitionsvertrag | Im aktuellen Koalitionsvertrag von BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN der Landesregierung von Baden-Württemberg, dem beide Parteien im Mai 2021 zugestimmt haben,ist auf Seite 86 zu lesen:
„Unter Federführung der oder des Bürgerbeauftragten richten wir einen Runden Tisch „Abschiebehaft“ ein. Daran werden wir alle Akteure beteiligen, insbesondere Vertreterinnen und Vertreter der zuständigen Ministerien und nachgeordneten Behörden sowie Haupt- und Ehrenamtliche. Sie werden sich regelmäßig darüber austauschen, wie die Zusammenarbeit weiter verbessert werden kann.
Wir werden sicherstellen, dass ehrenamtliche Strukturen in der Abschiebehafteinrichtung aufgebaut werden können, beispielsweise durch ehrenamtliche Besuchsdienste. Wir werden die Sozial- und Verfahrensberatung an unabhängige und gemeinnützige Träger vergeben. Für die Haupt- und Ehrenamtlichen sowie die Seelsorge richten wir eigene Räumlichkeiten ein und werden ihnen neben der aufsuchenden auch die offene Beratung und Seelsorge ermöglichen. Dazu können sie vor Ort mit ihrer eigenen digitalen Infrastruktur arbeiten. Wir stellen sicher, dass Haupt- und Ehrenamtliche die Abschiebehafteinrichtung flexibel aufsuchen können.“
11.08.2021 – Anfrage im Landtag | Einer Anfrage (Drucksache 17 /698) des Abgeordneten Sascha Binder ist zu entnehmen, dass unter der Federführung der Bürgerbeauftragten Beate Böhlen der Runde Tisch „Abschiebehaft“ eingerichtet werden soll. „Sie wird als neutrale Stelle vermittelnd tätig und ist dabei Partnerin der Bevölkerung sowie der Verwaltung“. „Die Bürgerbeauftragte ist in ihrer Aufgabenwahrnehmung unabhängig und weisungsgebunden.“
Zu den im Koalitionsvertrag genannten ehrenamtlichen Strukturen, die in der Abschiebehafteinrichtung aufgebaut werden sollen, meint das Ministerium der Justiz, „dass dies einer sorgfältigen Prüfung und Vorbereitung in Abstimmung mit dem Regierungspräsidium Karlsruhe“ bedarf.
18.10.2021 – Bericht Seite 11 | Der Ständige Ausschuss, der am 30.09.2021 über die Drucksache 17/698 beriet, war mit der Stellungnahme des Ministeriums der Justiz und für Migration nicht „zufrieden“, da ein „konzeptioneller Ansatz“ fehle, aus dem sich ergebe, „warum sich die Bürgerbeauftragte mit einer Abschiebehafteinrichtung beschäftigen“ solle. Wörtlich heißt es: „ Im Übrigen befremde ihn etwas, dass das Ministerium sich komplett zurückhalte, was den RundenTisch „Abschiebehaft“ angehe, und auf die in ihrer Aufgabenwahrnehmung unabhängige und weisungsgebundene Bürgerbeauftragte verweise. Dies erscheine wie ein Outsoursing einer Aufgabe, die das Ministerium in seiner Zuständigkeit nicht haben wolle.“