Recherchen des Bündnis decken brutale Misshandlungen von Inhaftierten auf
Pressemitteilung: vom Bündnis Community for all, 19.06.2018 | Recherchen des Bündnis decken brutale Misshandlungen von Inhaftierten auf, lebensnotwendige medizinische Versorgung ist nicht gewährleistet. Umfassende Augenzeugenberichte konnten in den letzten zwei Monaten gesammelt werden. Sie belegen eine systematische Missachtung der Grundrechte von Inhaftierten. Isolierungshaft, Schläge und Einschüchterung sind in dem Abschiebegefängnis an der Tagesordnung. Das Bündnis fordert die sofortige Schließung der Einrichtung und Konsequenzen für die politischen Verantwortlichen Innenminister Beuth und Polizeipräsident Lammel.
Uns erreicht am Wochenende der Hilferuf eines Inhaftierten, der dringend auf lebensnotwendige Herzmedikamente angewiesen ist – welche von den Vollzugsbeamten nicht zur Verfügung gestellt werden. Ein anderer leidet offensichtlich an einer starken Hauterkrankung – in jeder Nacht ist sein Kopfkissen voller Blut – anstatt ihn medizinisch behandeln zu lassen, wird er aufgefordert jeden Morgen sein Kissen frisch zu beziehen! Ein dritter muss mit einem Bandscheibenvorfall ins Krankenhaus – und wird dort ans Bett gefesselt.
Die Menschen in Abschiebehaft wenden sich an uns mit der dringenden Bitte, ihre Situation zu veröffentlichen und sie nicht alleine zu lassen. Ohne die Kontrolle einer demokratischen Öffentlichkeit sind sie der Willkür schutzlos ausgeliefert. Wir fordern ein sofortiges Handeln!
Bereits bei der Inbetriebnahme des Abschiebegefängnis war kein ordnungsgemäßer Betrieb sichergestellt. Der politische Wille der Verantwortlichen den Betrieb aufzunehmen war offensichtlich so enorm, dass bereits vor der Fertigstellung der Infrastrukturmaßnahmen, einer Einarbeitung des Sozialdienstes sowie transparenter und unabhängiger Kontrollinstanzen erste Menschen inhaftiert worden sind.
„Der Betrieb wurde in Mitten einer Baustelle eröffnet. Für uns ist dieses Vorgehen absolut fahrlässig und zeigt, dass nicht nur in der Öffentlichen Debatte sondern auch im politische Handeln der Verantwortlichen an Menschlichkeit fehlt. Rechte von Geflüchteten werden mit Füßen getreten, Gesetzesverschärfungen durchgepeitscht. Das ganze hat System.“ erinnert sich Doro Köhler vom Bündnis.
Die Öffentlichkeit bewusst täuschend, betonte der verantwortliche Polizeipräsident Lammel, dass es sich bei den inhaftierten Menschen um Straftäter handeln würde. Auf eine Anfrage der Linksfraktion musste nun Innenminister Beuth den Zusammenhang zwischen Straftaten und Abschiebehaft ausräumen. Beuth räumte ein: Das Innenministerium erhebe keine Daten zu strafrechtlichen Verurteilungen, da „strafbares Verhalten keine Voraussetzung für die richterliche Anordnung von Abschiebehaft ist“. Damit sind die Aussagen von Polizeipräsident Lammel zwar der Unwahrheit überführt, dennoch wurde so die Öffentliche Debatte manipuliert und Protest diskreditiert.
„Die politische Manipulation der Öffentlichkeit darf nicht unter den Teppich gekehrt werden. Der Versuch geflüchtete Menschen pauschal in einen Zusammenhang mit Straftäter*innen zu setzen ist rassistisch und politisch gefährlich. Wer so agiert, macht sich zum geistigen Brandstifter.“ sagt Petra Baumann vom Bündnis.
Was zynisch als „normales Leben minus Freiheit“ bezeichnet wird, ist in der Realität für die Betroffenen von Abschiebehaft blanker Horror. Die Bedingungen in der Abschiebehaft sind scheinbar viel schlimmer als der Vollzug in herkömmlichen Justizvollzugsanstalten. Die unhaltbaren Zustände in Darmstadt offenbaren die unmenschliche Systematik der Abschiebemaschinerie.
Während öffentlich massiv Stimmung gegen Geflüchtete und Migrant*innen gemacht wird, werden sie ohne Verfahren auf Anordnung eingesperrt. Dies widerspricht jedem rechtsstaatlichen Grundverständnis. In dieser Situation der Entrechtung, der Isolation und fern ab jeder öffentlichen Kontrolle sind Übergriffe in der Haft bittere Realität. Dies wollen wir an Hand von Augenzeug*innen-Berichten und Interviews mit Inhaftierten an dieser Stelle dokumentieren.
– Das Personal geht mit Pfefferspray und Schlagstöcken gegen Inhaftierte vor.
Kamal Abdel Satar aus Algerien: „Drei Polizisten haben zu dritt auf mich eingeschlagen, obwohl sie mich bereits festgehalten haben. Sie haben eine ganze Flasche Tränengas in meine Augen geleert und sich anschließend mit ihrem vollen Gewicht zu Boden gedrückt, während sie mit der flachen Hand meinen Mund und Nase festhielten. Einer der Polizisten hat aus dem Mund nach Alkohol gerochen. Danach haben sie mich in den Bunker gesteckt“ (- Inhaftierte werden mit Beruhigungsmitteln ruhig gestellt. Es kommt zu Fixierung und Isolationshaft. Murat Ürüc: „Der Arzt im Krankenhaus meinte ich soll so früh wie möglich operiert werden. Aber die Anstalt hat mir gesagt, das geht nicht und gibt mir stattdessen dreimal am Tag Ibuprofen 800 plus Tramadol und Magentabletten. Ich wurde hier ins Krankenhaus gebracht und vier Tage mit Fußfesseln im Bett gehalten.“
– Die Versorgung mit überlebensnotwendiger Medizin ist über das Wochenende nicht gewährleistet. Adem Keles, , geboren in Alzenau, Hessen: „Ich bin Herzpatient und muss bestimmte Medikamente zu mir nehmen. Einige waren für mich tagelang nicht verfügbar, weshalb mein Bruder sie extra für mich beschaffen und herbringen musste. An einem Tag mussten sie mich ins Krankenhaus bringen. Ich habe mich geweigert die Nacht mit Fußfesseln zu schlafen, weil es mich stresst. Daraufhin wurde ich zurück in die Anstalt gebracht.“
– Die medizinische Betreuung ist vollkommen unzureichend. Berhe Gibdey Kebede aus Äthiopien: „Der Arzt hier hat mir gesagt ich kann medizinische Behandlung für meine Hautkrankheit kriegen, wenn ich nach Hause komme. Sie erlauben mir nicht zu einem Facharzt zu gehen. Die Polizei hat mir gesagt ich soll täglich mein Kopfkissen wechseln(das dann voller Blut ist).“
– Die Bewegungsfreiheit ist begrenzt auf den Flur in den Wohngruppen mit jeweils 5 Menschen. Täglich erhalten die Inhaftierten nur einmal die Möglichkeit für 30 – 60 Minuten wahlweise in den Hof oder den Sportraum zu gehen. Diese Möglichkeit wird von dem Wachpersonal willkürlich beschnitten. Adem Keles: „Es kommen auch Tage vor wo es keine Freistunde gibt. […] wir dürfen eine Stunde in den abgesperrten Hof. Das wars. Ansonsten heisst es 23 Stunden in seinen Wohngruppen aufhalten. Wir leben doch nicht im 19.Jahrhundert.“
– Gemeinsames Kochen ist nur auf Antrag möglich. Ansonsten ist eine ausgewogene Verpflegung für muslimisch gläubige Menschen nicht ausreichend gewährleistet. Die Einkaufsmöglichkeiten sind massiv beschränkt. Eine Nahrungsergänzung mit dem Taschengeld ist nicht möglich. Adem Keles: „70 Prozent der in Gewahrsam gebrachten Menschen sind muslimischer Abstammung. Jeder achtet auf koscher ( helal ) Fleisch. Es gibt keine Möglichkeit koscher helal Fleisch zu kaufen beim Einkauf oder von der Einrichtung. Wir sind gezwungen wegen unserem Glauben uns als vegetarisch eintragen zu lassen damit wir unseren Glauben mit dem besten Willen weiter führen können.“
– Das Wach-Personal ist unfreundlich, völlig unzureichend ausgebildet und reagiert gereizt.
– Die Haftdauer beläuft sich mitunter auf bis zu zwei Monate.
– Der eingesetzte Sozialdienst ist überfordert und wird von den Inhaftierten Menschen gemieden.
– Es besteht kein Recht auf Rechtsberatung. Es gibt keinen gesicherten Zugang für Anwält*innen.
(Die von uns dokumentierten Vorwürfe sind durch Augenzeugenberichte, Foto- sowie Videoaufzeichnungen belegt. Diese Belege können auf Wunsch einzeln unter der Wahrung der Anonymität eingesehen werden.)
Der Leiter des Abschiebegefängnisses, Frank von der Au, hob beim ersten Pressetermin mit Innenminister Beuth am 27.04.2018 die vielen Annehmlichkeiten der Inhaftierten hervor – Wörter wie „Appartements“ und „Einzug“ wurden genannt.
„Der Öffentlichkeit wurde ein Konzept vorgestellt, dass Bewegungsfreiheit, Kommunikations-, Koch- und Sportmöglichkeiten für die Inhaftierten vorsieht. Unsere Recherchen stellen genau das Gegenteil davon fest. Die hessische schwarz-grüne Landesregierung versucht vor der Landtagswahl eine harte Linie zu fahren. Sie unterstützt damit die Linie im Bund, durch Entrechtung Schutzsuchender die Abschiebezahlen zu erhöhen und dabei jeden Funken Menschlichkeit außer Acht zu lassen. Zur Legitimation ihrer Politik stützen sie sich auf Unwahrheiten und Ablenkungsmanöver. Die Dokumentation der Situation in dem Abschiebegefängnis offenbart welche Gewalt hinter der Praxis der Inhaftierung und Abschottung steckt. Wir fordern eine umfassende Aufarbeitung der Vorfälle und Konsequenzen „, erklärt Doro Köhler vom Bündnis.
„Das Abschiebegefängnis ist Teil einer menschenverachtenden Politik. Die einzig richtige Konsequenz kann nur ein Ende dieser Politik sein: Schluss mit Spirale der Unmenschlichkeit“, schließt Baumann.
Das Bündnis Community for all – Solidarische Gemeinschaften statt Abschiebegefängnis hat sich Im Herbst 2017 gegründet, um gegen das erste hessische Abschiebegefängnis in Darmstadt und die dahinter liegenden Politik zu protestieren. In den vergangenen Monaten hat das Bündnis mehrere Demonstrationen organisiert und sich bundesweit vernetzt.