Klagen, Strafanzeigen und Petition nach Skandal-Abschiebung aus Emmendinger Schule

Anwalt von Fatima A. hält Abschiebung für rechtswidrig / Sogar der Leiter der Abschiebebhörde wies Stopp der Abschiebung an

Klagen, Strafanzeigen und Petition nach Skandal-Abschiebung aus Emmendinger Schule

Pressemitteilung 12.11.2019 – Flüchtlingsrat BW | Die Abschiebung der Schülerin Fatima A. aus einer Schule in Emmendingen Ende Juni hat ein juristisches Nachspiel. Der Anwalt von Fatima A. und ihrer Mutter, die am 27. Juni nach Nordmazedonien abgeschoben wurden, hat beim Verwaltungsgericht Freiburg beantragt, festzustellen, dass die Abschiebungen rechtswidrig waren und die beiden unverzüglich nach Deutschland zurückgeholt werden müssen. Besonders brisant: Aus der Akte geht hervor, dass der Leiter der für Abschiebungen zuständigen Abteilung 8 des Regierungspräsidiums Karlsruhe angewiesen hat, die Abschiebung zu stornieren. Dennoch wurde diese durchgeführt.

Zudem wurde in Zusammenhang mit dem Ablauf der Abschiebung Strafanzeige gegen mehrere Beteiligte erstattet. Der Lehrer, der zum Zeitpunkt der Abschiebung die Klasse von Fatima unterrichtet hat, hat unterdessen eine Petition an den Landtag eingereicht. Er kritisiert die Abschiebung aus der Schule und die aus seiner Sicht beschönigende Darstellung des Ablaufs durch das Innenministerium, und sieht sich durch eine falsche Aussage der Polizei getäuscht – ihm gegenüber behaupteten die zwei Polizist*innen vor seinem Klassenzimmer, dass die Abschiebung mit dem Schulleiter abgesprochen war. Dies war allerdings nicht der Fall.

In der Klage wird angeführt, dass die Abschiebung alleine schon deshalb rechtswidrig war, weil vorher keine Abschiebungsandrohung ergangen war. Für die Mutter von Fatima A., die an einer schweren Form von Diabetes erkrankt ist, war ein Abschiebungsverbot aus gesundheitlichen Gründen beantragt worden. Eine Bitte des Rechtsanwalts der Familie um Ansetzung einer amtsärztlichen Untersuchung hatte das Regierungspräsidium Karlsruhe einen Tag vor der Abschiebung abgelehnt.

Am 27. Juni dieses Jahres holte die Polizei die Mutter von Fatima A. aus ihrer Wohnung, nachdem sie ohne ihr Einverständnis und ohne einen gesetzlich erforderlichen Durchsuchungsbeschluss in die Wohnung eingedrungen waren.

Dass Fatima A. aus der Schule abgeschoben wurde, rechtfertigt die Polizei damit, dass sie zum Zeitpunkt des polizeilichen Einbruchs in die Wohnung schon auf dem Weg zur Schule war. In der Petition weist der Lehrer darauf hin, dass bereits eine kurze Recherche genügt hätte, um anhand der Anfangszeit des Unterrichts und der Busverbindungen zu ermitteln, bis wieviel Uhr Fatima noch zu Hause anzutreffen wäre. Diesen geringen Aufwand habe man sich offensichtlich erspart – obwohl das Innenministerium behauptet, Abschiebungen aus Schulen würden grundsätzlich nicht (das heißt: nur in Ausnahmefällen) durchgeführt.

Wenn der Eindruck erweckt wird, die Behörden würden sich besondere Mühe geben, Abschiebungen aus Schule nach Möglichkeit zu vermeiden, dann sind das Beschwichtigungsfloskeln für die Öffentlichkeit. Die Praxis richtet sich offensichtlich mehr nach der Bequemlichkeit der Behörden als nach den Interessen des Kinder- und Jugendschutzes“, so Seán McGinley vom Flüchtlingsrat Baden-Württemberg.

Eindrücklich schildert der Lehrer die Auswirkungen der Abschiebung auf ihn und seine Klasse. Er bezeichnet den Vorfall als „bislang herausforderndste Erfahrung als Lehrkraft“ und betont, auch gegenüber der Polizei erklärt zu haben, dass eine Abschiebung aus der Schule drastische Auswirkungen auf die Klasse und auf den Vertrauensraum Schule haben würden. Und tatsächlich wurde nach der Abschiebung sehr deutlich, dass viele andere Jugendliche durch die Erfahrung sehr stark mitgenommen und verängstigt waren – nicht nur unmittelbar nach der Abschiebung, sondern auch Tage danach.

Nach Aussagen mehrere Zeug*innen wurden Versuche der Kontaktaufnahme zwischen den Abzuschiebenden und Unterstützenden verhindert. Als der Anwalt bei der Polizei am Flughafen anrief, wurde ihm nicht erlaubt, mit seinen Mandantinnen zu sprechen. Nachdem ein Asylfolgeantrag gestellt wurde, wies der Leiter der Abteilung 8 des Regierungspräsidium Karlsruhe, Manfred Garhöfer, an, die Abschiebung zu stornieren. Dies geht aus einem Gesprächsprotokoll hervor, dass sich in der Akte befindet. Angeblich habe der Pilot auf der Durchführung der Abschiebung bestanden, weil sich das Gepäck schon im Flugzeug befunden habe. Abgesehen davon, dass es grundsätzlich sehr wohl möglich ist, bei Bedarf einzelne Gepäckstücke kurzfristig vor dem Abflug zu entfernen – beispielsweise aus Sicherheitsgründen, wenn es sich herausstellt, dass die zum Gepäckstück gehörige Person nicht an Bord ist, ist nicht ersichtlich, ob andere Handlungsoptionen geprüft wurden – beispielsweise die beiden oder ihr Gepäck mitfliegen zu lassen und anschließend wieder zurück zu holen.

Die Reaktion des Innenministeriums auf Fälle wie diese ist wie eine gesprungene Schallplatte: Die Personen seien ausreisepflichtig und die Abschiebung rechtmäßig. Das ist in diesem Fall nicht einmal formal korrekt. Nicht zum ersten Mal ignorieren Behörden und Regierung Gesetze, handeln entgegen ihrer eigenen Beschlüsse und Richtlinien und hoffen dann einfach mal, dass es niemandem auffällt. Sie verlassen sich darauf, dass ihrer beschönigende Darstellung der Ereignisse geglaubt wird, denn sie zehren von einem Vertrauenvorschuss, dem viele Menschen – auch Geflüchtete – diesem Staat geben. Einen solchen Vertrauensvorschuss haben sie allerdings nicht verdient. Das wird nun hoffentlich in diesen Verfahren klar werden“, so McGinley weiter.

Abgesehen davon, dass diese Abschiebung und zahlreiche Maßnahmen in Zusammenhang damit rechtswidrig waren, gibt es aus Sicht des Flüchtlingsrats sehr wohl Möglichkeiten, Personen, die lange in Deutschland leben, im Rahmen des geltenden Rechts einen gesicherten Aufenthalt zu ermöglichen. Diese setzen allerdings entsprechenden Willen seitens der Politik und Behörden voraus, und das ist der tatsächliche Knackpunkt.

Bereits im Frühjahr 2018 dürfte Fatima A. die Voraussetzungen für eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Aufenthaltsgesetz erfüllt haben. Sie hätte in diesem Schuljahr einen Hauptschulabschluss machen können. In Nordmazedonien wird es ihr nicht möglich sein, einen Schulabschluss zu machen. Laut einem Beschluss der Landesregierung vom April 2017 sind die Ausländerbehörden verpflichtet, Menschen, die für Bleiberechtsregelung wie diese in Frage kommen, entsprechend aufzuklären und zu beraten.

„Dieser Beschluss, den die Grünen damals als wichtige Errungenschaft angepriesen haben, die sie gegenüber dem CDU-geführten Innenministerium durchgesetzt haben, scheint nicht in der täglichen Praxis der Ausländerbehörden umgesetzt zu werden. Wir fordern daher die Landesregierung auf, offenzulegen, wie genau dieser Beschluss umgesetzt wird, und wir fordern die Baden-Württembergischen Grünen auf, darauf zu pochen, dass der Beschluss tatsächlich umgesetzt wird“, so Seán McGinley abschließend.

FLÜCHTLINGSRAT BADEN-WÜRTTEMBERG e.V.

engagiert für eine menschliche Flüchtlingspolitik