Europarat kritisiert NATO und Küstenwachen

Europarat: “migrants deaths” – ein dunkler Tag für Europa

Berichterstatter Tineke Stirk veröffentlicht den Bericht des Europarats zum Sterben im Mittelmeer und stellt ihn morgen der Parlamentarischen Versammlung vor. Der Bericht trägt den Titel “Who is responsible for migrants’ deaths in the Mediterranean?”. Auch das Projekt “Boats4People” wird er erwähnen.
Wie The Guardian am 29.04.2012 berichtet, wird im Bericht kritisiert, dass die europäischen Behörden von einem “doppelten Standard” bei der Bewertung von Menschenleben ausgehen. Exemplarisch wurde über neun Monate ein Schiffsunglück im Mai 2011 untersucht, bei dem 63 Menschen starben. Die NATO und europäische Küstenwachen befanden sich in der Nähe des Unglücksschiffs, an dem sich 72 afrikanische Flüchtlinge befanden. Als sie in Seenot gerieten, sendeten sie mehrfacht Notrufe aus. Das Boot wurde von den europäischen Küstenwachen identifiziert, aber kein Hilfsversuch unternommen. Die Menschen starben an Hunger und Durst, unter ihnen auch zwei Babys. Nur neun Flüchtlinge überlebten, und sie strengten anschließend, von Libyen aus, die Untersuchungen an. Die Flüchtlinge kamen vor allem aus Somalia und Eritrea.

Wie die Überlebenden berichten, flog ein Hubschrauber kurz über das Flüchtlingsschiff, warf Kekse und Wasser ab und forderte sie auf, auszuharren. Der Hubschrauber kam nicht zurück, und bis heute weiss man nicht, zu welchen NATO- oder Küstenschiff-Einheiten er gehörte.

“Wir können so viel über Menschenrecht reden, und darüber, wie wichtig es ist, internationale Verpflichtungen einzugehen, aber wenn wir in derselben Zeit Leute einfach sterben lassen – vielleicht wiel wir nicht ihre Identität kennen, vielleicht weil sie aus Afrika kommen – , dann zeigt dies, wie bedeutungslos diese Worte sind,” sagt Berichterstatter Strik.

“Wenn Sie die Medienaufmerksamkeit für [Costa] Concordia bedenken und dies vergleichen mit mehr als 1.500 MigrantInnen, die 2011 im Mittelmeer starben, wird die Unterschiedlichkeit deutlich”, so Strik.

Im Besonderen weist der Bericht die Notruf-Weiterleitungen aus dem Mittelmeer nach. Der Notruf, den das Maritime Rescue Co-ordination Centre (MRCC) in Rom ausgesendet hat, musste mindestens ein Schiff unter NATO-Kommando erreicht haben: die spanische Fregatte Méndez Núñez, die sich in unmittelbarer Nähe des Flüchtlingsboots befand und Hubschrauber an Bord hatte. “Die NATO hat die Region zu einer Militärzone unter ihrer Kontrolle erklärt, aber versagte, auf die Notrufe zu reagieren, die vom MRCC aus Rom kamen,” heißt es in dem Bericht. Ausserdem leitete das NATO-High Command in Neapel die Notruf-Nachricht nicht an die NATO-Schiffe in der Region weiter.

Laut Bericht befand sich ein weiteres Kriegsschiff, das italienische Borsini – nicht unter NATO-Kommando in der Zeit – in der Nähe des Flüchtlingsboots, als die Notrufe eintrafen.

Der Bericht schließt damit, dass die Gesamtverantwortung für dieses Sterben bei der NATO lag, die bislang keine ausreichende Auskunft gibt. Und: “Dieser Bericht ist nur der Beginn. Das Mittelmeer ist eines der befahrensten Meere des Planeten, und niemand übernahm es, diese MigrantInnen zu retten. Wir brauchen noch mehr Antworten, und ich werde weiter danach Ausschau halten. Diese Leute brauchten nicht zu sterben, und jene Verantwortlichen müssen zur Verantwortung gezogen werden,” sagt Strik.

www.boats4people.org
www.ffm-online.org
http://www.guardian.co.uk/world/2012/mar/28/left-to-die-migrants-boat-inquiry