Dublin-System soll drastisch verschärft werden

Ein Stellungnahme von PRO ASYL mit der Aufforderung die Informationen weiter zu verbreiten!

Liebe Flüchtlingsunterstützer*innen, liebe Aktivist*innen, viele von Euch haben in den letzten Jahren Schutzsuchenden in Deutschland aktiv geholfen. Oft ging es dabei um die Verhinderung von Dublin-Abschiebungen innerhalb Europas.

Die bisherige Dublin-III-Verordnung, der zufolge in der Regel der Staat der Erstregistrierung  für die Durchführung eines Asylverfahrens zuständig ist, hat dazu geführt, dass Geflüchtete in Staaten abgeschoben werden, in denen ihnen zum Teil menschenunwürdige Aufnahmebedingungen, willkürliche Inhaftierungen oder sogar Folter drohen (z.B. in Griechenland, Bulgarien und Ungarn). Nicht zuletzt durch entschlossene Interventionen und die engagierte Hilfe aus der Zivilgesellschaft war es bislang immer wieder möglich, diese inhumanen Dublin-Abschiebungen zu verhindern.

Nach dem Willen der EU-Kommission soll das Dublin-System nun sogar noch drastisch verschärft werden und Schutzsuchenden jegliche Chance genommen werden, nicht in das für sie zuständige Land abgeschoben zu werden. Der Entwurf der neuen Dublin-IV-Verordnung, der bereits im Mai 2016 präsentiert wurde und ab Oktober dieses Jahres intensiv in Brüssel verhandelt werden soll, zielt darauf ab, Asylsuchende in dem für sie nach der Dublin-Verordnung zuständigen EU-Staat festzusetzen und jegliche Weiterwanderung in andere Mitgliedstaaten zu unterbinden. Wir wollen Euch kurz zusammengefasst über die schlimmsten geplanten Veränderungen informieren und weisen in diesem Zusammenhang auch auf ein ausführlicheres Positionspapier von uns hin (abrufbar unterhttps://www.proasyl.de/wp-content/uploads/2015/12/PRO-ASYL-Positionspapier-zur-geplanten-Dublin-Reform-Juni-2016-.pdf):
  • Abschaffung von verbindlichen Fristen: Bislang enthält die Dublin-III-Verordnung verbindliche Fristen, innerhalb derer der Staat, in dem sich ein Asylsuchender aufhält, die Abschiebung in einen anderen Mitgliedstaat durchführen muss. Gelingt es bspw. Deutschland nicht, eine Dublin-Abschiebung nach Italien als dem für das Asylverfahren zuständigen Mitgliedstaat innerhalb von (normalerweise) sechs Monaten durchzuführen, muss Deutschland das Asylverfahren selbst durchführen und darf die betroffene Person nicht mehr nach Italien abschieben. Genau diesen Zuständigkeitswechsel nach Fristablauf, der Zehntausenden Asylsuchenden, denen eine Abschiebung in einen EU-Staat mit untauglichem oder fast nicht existentem Aufnahmesystem drohte, viel Leid erspart hat, will die EU nun ersatzlos abschaffen. Das bedeutet, dass sämtliche Interventionen aus der Zivilgesellschaft, die auf einen Fristablauf abzielen, in Zukunft ins Leere laufen werden: Kirchenasyl ist nicht mehr möglich, die Verhinderung einer Abschiebung wird nichts mehr bringen. Auch die Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche hat deswegen schon mit einer Postkartenaktion auf die geplante Dublin-Reform reagiert:http://www.kirchenasyl.de/portfolio/postkartenaktion-dublin-iv-stoppen/
  • Beschränkung des Selbsteintrittsrechts: Bei aller Kritik an Dublin-III war es bisher zumindest möglich, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) bei bestimmten Flüchtlingsgruppen auf eine Abschiebung verzichtet. So hat das BAMF in der Vergangenheit immer wieder bei besonders schutzbedürftigen Geflüchteten (z.B. traumatisierte Menschen, denen die Abschiebung nach Bulgarien drohte) von seinem Selbsteintrittsrecht Gebrauch gemacht und das Asylverfahren in Deutschland durchgeführt. Auch diese Möglichkeit, mit der besonders schutzbedürftige Asylsuchende vor einer Abschiebung in inhumane Verhältnisse bewahrt werden konnten, will die EU streichen. Die Anwendung des Selbsteintrittsrechts soll nur bei bestehenden familiären Verbindungen möglich sein. Ebenfalls ausgeschlossen wäre in der Zukunft dann eine Entscheidung, wie sie die Bundesregierung im Sommer 2015 getroffen und syrischen Geflüchteten aus Ungarn die Aufnahme in Deutschland ermöglicht hat. Humanitäre Spielräume werden damit abgeschafft.
  • Abschiebung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen (UMF): UMFs sind bisher von Dublin ausgenommen. Der Entwurf der Dublin-IV-Verordnung sieht nun vor, dass auch sie in Zukunft wieder in den für sie zuständigen Staat abgeschoben werden sollen.
  • Einschränkung von sozialen Leistungen: Damit Schutzsuchende möglichst in dem für sie zuständigen Staat bleiben, will die EU-Kommission  eine Weiterwanderung in andere Mitgliedstaaten mit Dublin-IV hart sanktionieren. So sollen Asylsuchende, die sich nicht im Staat ihrer Zuständigkeit aufhalten, keinen Anspruch mehr auf soziale Leistungen erhalten. Medizinische Hilfe soll nur noch im Notfall geleistet werden. Das Ziel ist klar: Durch den Ausschluss von  sozialen Leistungen sollen Asylsuchende faktisch gezwungen werden, „freiwillig“ den Staat ihres tatsächlichen Aufenthalts zu verlassen.
Weitere Verschärfungen finden sich im Detail in der Dublin-IV-Verordnung. Wir werden dazu demnächst auf der Website von PRO ASYL eine umfangreiche Stellungnahme veröffentlichen. Die breite Öffentlichkeit nimmt von diesen drohenden Verschärfungen bisher keine Kenntnis, auch weil die Relevanz von Fristablauf und Selbsteintrittsrecht für die Asylpraxis kaum bekannt ist. Wir hoffen deshalb, dass ihr die Informationen über diese bis dato beispiellose Asylrechtsverschärfung in euren Strukturen, politischen Gruppen, Hilfsnetzwerken etc. weiterverbreitet. Wir werden uns auf politischer Ebene zusammen mit anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren und Wohlfahrtsverbänden mit Vehemenz dafür einsetzen, dass Dublin-IV in seiner jetzigen Form nicht verabschiedet wird und hoffen bei diesem Ansinnen auf Eure Unterstützung.
Mit besten Grüßen
Maximilian Pichl (Rechtspolitischer Referent) und Andreas Meyerhöfer (PRO ASYL-Einzelfallberatung)
 
PRO ASYL
Postfach 16 06 24
60069 Frankfurt am Main
Tel.: (0049)-069-242314-0