Badische Zeitung 15. Mai 2008 

Badische Zeitung vom Donnerstag, 15. Mai 2008


Ein Monat für eine andere, utopische Welt 

Am Samstag starten 20 Initiativen mit Aktionen, Demos, Infos


Von unserer Mitarbeiterin Anja Bochtler


Das Wohnen wird vom "Geldgeschäft" mit ständig steigenden Mieten tatsächlich zum Menschenrecht. Flüchtlinge müssen nicht mehr in engen Unterkünften auf viereinhalb Quadratmetern pro Person leben. Menschen befreien sich aus Alltagszwängen und organisieren ihr Leben selbst. Utopisch? Der Aktionsmonat "Zusammen die Utopie leben" soll mit manchmal zwei, drei Veranstaltungen, Demos und "utopischen Aktionen" am Tag Visionen entwerfen. Dabei sind rund 20 Initiativen vom U-Asta über das Freiburger Friedensforum und Greenpeace bis zum "Runden Tisch gegen Erwerbslosigkeit und soziale Ausgrenzung" .


Los geht’s am Samstag um 11 Uhr mit einem "Straßenbrunch" am Platz der alten Synagoge, später gibt’s Kundgebungen am Siegesdenkmal ("Eine Welt ohne Krieg" ) und in der Stefan-Meier-Straße vor den neuen Tierversuchlabors ("Nie wieder Tierversuche" ). Angemeldet ist der Auftakt nicht, doch das sei kein Problem, findet Martin Siegmann, einer von vielen Organisatoren: "Das werden ja keine Chaostage, wir schaffen nur Öffentlichkeit." Die Stadtverwaltung wünscht sich allerdings Ansprechpartner und bemüht sich um Kontakte, sagt die städtische Pressesprecherin Petra Zinthäfner. 


Ihr längstes Vorbereitungsplenum hat sechs Stunden gedauert. Bei den Organisatorinnen und Organisatoren des Utopiemonats wird alles ausdiskutiert — basisdemokratisch, mit Konsens. So wird es die kommenden Wochen weiter gehen. Martin Siegmann (24) und Felix Sinsel (22) sind zwei von denen, die seit Monaten in der Vorbereitung mitmischen. Zwei, die — wie 50, 60 andere dauerhafte und noch mehr zeitweise Mitstreiter — ihre Ideen von einer besseren Welt an die Öffentlichkeit tragen wollen, an vielen Stellen in der Stadt. Wird das irgendwas verändern? Zumindest soll es der Resignation entgegenwirken, sagen Felix Sinsel und Martin Siegmann, die sich wundern, dass nicht längst mehr rebelliert wird. Nicht nur gegen die großen Probleme, auch gegen immer mehr schleichend voranschreitende kleine Einschränkungen: "Vom Radparken am Bertoldsbrunnen bis zum Essen in der Straßenbahn — alles verboten. Das kann doch nicht wahr sein" , findet Martin Siegmann. 


Er hat für sich Konsequenzen gezogen, hat sein Studium an einer ihn abschreckenden "Elite-Uni mit Studiengebühren, Schmalspurstudiengängen und Tierversuchen" abgebrochen, ist jetzt arbeitslos und einer der rund 40 "Schattenparker" , die in Bauwägen leben. Felix Sinsel macht sein Biologie-Studium trotz Skepsis weiter, engagiert ist er in der "Samba-Gruppe" , die während des Protests gegen den Verkauf der städtischen Wohnungen entstand, um "langweilige Latsch-Demos" in "kreative kritische Aktionen" zu verwandeln. Wie in der Samba-Gruppe werden auch beim Utopiemonat die Teilnehmer je nach Thema wechseln, alles bleibt im Prozess, zu dem jederzeit Neue dazu stoßen können — und sollen. Darum zogen die Vorbereitungs-Plena dauernd um, von der Pädagogischen Hochschule zur "Fabrik" im Vorderhaus oder gleich ganz öffentlich an den Augustinerplatz. Die Flexibilität spricht eher Jüngere an: Viele sind Studierende. Aber auch Ältere sind dabei, die in einigen Gruppen (wie dem Freiburger Friedensforum) stark vertreten sind. Genau wie die Altersspanne ist das Themenspektrum breit: Vom Vortrag über Zivilcourage bei Wehrmacht, Polizei und SS des Historikers Wolfram Wette über die "Dreiländer-Demo" der "Aktion Bleiberecht" bis zu veganen Grillabenden der Tierrechtszene. Allein das ist ein Erfolg, findet Martin Siegmann. "Plötzlich planen Gegner von Studiengebühren und Tierrechtler gemeinsam Aktionen — das gab’s so noch nicht."